Antisemitismus made in Germany – und das Märchen vom Importprodukt
- kpeterl
- 18. März
- 4 Min. Lesezeit
TL;DR: Deutschland hat Antisemitismus nicht importiert – Deutschland hat ihn exportiert. Wer so tut, als sei Antisemitismus erst mit der Migration gekommen, blendet aus, dass er hier seit Jahrhunderten existiert. Wer ihn nur bei „den anderen“ sucht, hat ihn nie verstanden.

„Antisemitismus ist nicht die Meinung über die Juden, sondern das Ressentiment gegen die Welt, deren Struktur man nicht begreift.“ – Jean Améry, „Hand an sich legen“ (1976)
Deutschland ist mal wieder empört. Antisemitismus, auf deutschen Straßen, in deutschen Schulen, auf deutschen Plätzen? Das kann nur importiert sein. Schließlich hat dieses Land seine Vergangenheit vorbildlich aufgearbeitet, hat in Sonntagsreden gelobt, den „Nie-wieder“-Schwur zur Staatsräson erklärt. Und nun also all diese hässlichen Bilder, die Demos, die Sprechchöre, die Gewalt. Woher das wohl kommt? Die Antwort liegt für manche auf der Hand: Es muss „von außen“ gekommen sein.
Jean Améry schrieb einst: „Antisemitismus ist nicht die Meinung über die Juden, sondern das Ressentiment gegen die Welt, deren Struktur man nicht begreift.“ Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat sich in diesem Ressentiment eine bequeme Nische geschaffen: Man begreift Antisemitismus als ein Problem der anderen, als etwas, das mit „unseren Werten“ unvereinbar ist, als etwas, das importiert wurde. Die absurde Pointe daran? Deutschland hat Antisemitismus nicht importiert – Deutschland hat ihn exportiert.
Historische Verwurzelung des Antisemitismus in Deutschland
Der eliminatorische Antisemitismus der Nationalsozialisten war keine Erfindung von 1933. Er wuchs über Jahrhunderte, fand seine ersten mörderischen Exzesse in den Pogromen des Mittelalters, wurde mit der Rassenlehre pseudowissenschaftlich aufgeladen, kulminierte in der Shoah und verschwand nach 1945 keineswegs, sondern mutierte. Und als wäre das nicht genug, verbreitete man diese Ideen auch noch munter weiter – von antisemitischer NS-Propaganda in der arabischen Welt bis hin zur Ausbildung islamistischer Kollaborateure während des Zweiten Weltkriegs. Doch all das soll nun vergessen sein. Heute heißt es: „Die Migranten haben den Antisemitismus nach Deutschland gebracht.“ Das ist nicht nur ahistorisch, sondern eine dreiste Lüge.
Antisemitismus ist nicht das Problem einer „Parallelgesellschaft“, sondern war jahrhundertelang Staatsdoktrin. Von mittelalterlichen Judenverfolgungen über die Dolchstoßlegende bis zu Auschwitz – es war deutsche Ideologie, die den Antisemitismus immer wieder anheizte und schließlich industriell umsetzte.
Und nach 1945? Der Antisemitismus verschwand nicht, er wechselte nur seine Masken. In bürgerlichen Kreisen wurde er zum „sekundären Antisemitismus“: Man sprach nicht mehr offen gegen Juden, sondern über die „Holocaust-Industrie“ oder den „Schuldkult“. In der Linken wiederum transformierte er sich in einen vermeintlich „antikolonialen Antizionismus“. Die Mechanismen blieben dieselben – nur die Begriffe änderten sich.
Die Externalisierung des Problems durch die Rechte
Es ist eine der größten politischen Heucheleien unserer Zeit: Während sich die AfD als Beschützer Israels aufspielt, tobt in ihren eigenen Reihen der klassische Antisemitismus weiter. Holocaust-Relativierung, antisemitische Verschwörungstheorien, offene NS-Nostalgie – alles da, nur strategisch verpackt. Die Behauptung, Antisemitismus sei vor allem ein Problem „der Migranten“, ist ihr geschicktester Propagandacoup.
Besonders nach 2015 wurde dieses Narrativ aggressiv gepusht. Der Antisemitismus sollte nicht länger ein deutsches Problem sein, sondern eines „der anderen“. Dass man so die eigene Vergangenheit ausblendet und gleichzeitig islamistische Strukturen verharmlost, ist der doppelte Boden dieser Strategie: Wer Antisemitismus nur dann erkennt, wenn er auf Arabisch skandiert wird, hat ihn nie wirklich verstanden.
Antisemitismus als ein vielschichtiges Problem
Es gibt islamistischen Antisemitismus, ohne Frage. Und es gibt arabische und türkische Netzwerke, die antisemitische Narrative verbreiten. Aber wer behauptet, das sei eine völlig neue Erscheinung, verkennt die Kontinuität dieser Denkweise.
Der Antisemitismus hat viele Gesichter: Er ist rechtsradikal, islamistisch, antiimperialistisch, verschwörungstheoretisch. Aber seine Grundstruktur bleibt gleich: Die Vorstellung eines übermächtigen Judentums, das im Verborgenen die Welt lenkt, das für Kriege, Wirtschaftskrisen und Kolonialismus gleichermaßen verantwortlich gemacht wird.
Und so begegnen wir den gleichen Mythen immer wieder: Mal als NS-Propaganda, mal als islamistische Hetze, mal als akademisch verbrämten Postkolonialismus. Der Unterschied liegt nicht in der Ideologie, sondern nur in der Verpackung.
Islamismus, Muslimbruderschaft und Antisemitismus
Dass Hamas, Hizb ut-Tahrir und andere islamistische Gruppen Antisemitismus propagieren, sollte eigentlich keine Neuigkeit sein. Dennoch schafft es die radikale Linke immer wieder, sich mit genau diesen Akteuren zu solidarisieren – unter dem Vorwand des „Widerstands“.
Die Verharmlosung des Islamismus durch linke Antiimperialisten folgt einer altbekannten Logik: Wer gegen „den Westen“ kämpft, muss gut sein. Dass es sich dabei um erzreaktionäre, frauenfeindliche, homophobe und zutiefst antisemitische Bewegungen handelt, wird ignoriert.
Hamas propagiert keine Befreiung – sie predigt Vernichtung. Wer das nicht erkennt, hat entweder nichts begriffen oder nimmt den eigenen Antisemitismus schlicht in Kauf.
Kritik an linker antiimperialistischer und antizionistischer Ideologie
Ein Teil der radikalen Linken hat sich in einer bizarren Koalition mit Islamisten verfangen, weil sie an einem überholten Weltbild festhalten: Hier die „unterdrückten Völker“, dort der „westliche Imperialismus“. Das Ergebnis ist eine Verklärung von Terrororganisationen, die mit linken Werten so viel zu tun haben wie Stalin mit Menschenrechten.
„From the river to the sea“ ist keine harmlose Parole. Sie bedeutet nicht Koexistenz, sondern die Eliminierung Israels. Wer das fordert, steht nicht für Gerechtigkeit, sondern für eine antisemitische Radikalisierung.
Es erinnert fatal an die intellektuelle Verblendung der 30er Jahre, als Linke den Stalinismus verteidigten, weil er sich gegen den Kapitalismus stellte. Es gab damals wie heute eine Linke, die klarsehen konnte – und eine, die sich in ideologischen Wunschvorstellungen verirrte.
Zurück zu Améry
Was wir brauchen, ist keine plumpe Schuldzuweisung an Migranten oder eine naive Verklärung antiimperialistischer Bewegungen. Wir brauchen eine Analyse, die die Realität anerkennt:
Antisemitismus ist tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt.
Er manifestiert sich unterschiedlich – von rechter Hetze bis hin zu islamistischem Antizionismus.
Nicht jede Kritik an Israel ist antisemitisch, aber Antizionismus ist oft genau das.
Wer Antisemitismus effektiv bekämpfen will, muss ihn überall bekämpfen – ohne ideologische Ausreden.
Jean Améry schrieb, Antisemitismus sei das Ressentiment gegen eine Welt, die man nicht begreift. Heute erleben wir genau das:
Rechte hetzen gegen „importierten Antisemitismus“, um die eigene Schuld zu kaschieren.
Linke verklären den Antizionismus, weil sie in einem simplen Gut-Böse-Schema gefangen sind.
Aber Antisemitismus war nie nur das Problem der anderen. Und wer ihn nicht kompromisslos bekämpft – von rechts, von links, aus islamistischen Kreisen – wird ihn wieder und wieder erleben.
Antisemitismus und Antizionismus, aber auch Israelhass ist in Deutschland genauso zuhause wie in anderen Gesellschaften der heutigen Welt. Woher dieser Hass sich in der Türkei, in Südafrika, in Argentinien oder in Südkorea etc. erklärt ist ähnlich wichtig wie in Deutschland: Nur soweit eine solche Erklärung einen Ansatz böte ihn zu beseitigen – „Wer hat's erfunden?“ ist dafür nach meiner Erfahrung aber völlig unerheblich. So wie das mühselige Widerlegen der tausend Lügen des Faschismus nichts am Faschismus ändert, so wenig hilft die Genealogie antijüdischer Haltung diese zu beseitigen. Erst die grundsätzliche Ablehnung des Judenhasses kann eine Gesellschaft davon befreien, so wie nur die grundsätzliche Ablehnung des Faschismus unsere Demokratie erhalten kann. Dazu muss jede:r bei allen Vorkommnissen von Entmenschlichung und gruppenbezogenem Hass…