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Der Sheriff von Washington und die reaktionäre Internationale

kpeterl

TL;DR: Neuer Sheriff in Washington: J.D. Vance belehrt Europa, hofiert die AfD & predigt „Meinungsfreiheit“ – für Rassisten. USA verhandeln über die Ukraine ohne EU, verlangen aber mehr Waffen von ihr. Transatlantische Solidarität der Demokraten war gestern, jetzt regiert die reaktionäre Internationale.



Die Münchner Sicherheitskonferenz, einst ein Ort Transatlantischer diplomatischer Zwischentöne, hat einen neuen Star. Nein, nicht einen Intellektuellen, nicht einmal einen zweitrangigen Strategen aus der Tiefe des Pentagon, sondern J. D. Vance, den frischgekürten Stellvertreter seiner Exzellenz Donald Trump, der sich anschickt, das Weltgeschehen wieder in den festen Griff ungewaschener Cowboys zu nehmen.

 

Und Vance, in seiner neuen Rolle als außenpolitischer Messias des Trumpismus, hatte eine Botschaft im Gepäck, so feinfühlig wie ein Presslufthammer auf Porzellan: Europa ist nicht durch Russland bedroht, nicht durch China, sondern – Achtung, festhalten – durch sich selbst. Die größte Gefahr, so belehrte er das verdutzte Auditorium, sei der Verfall „gemeinsamer Werte“.

 

„Free Speech“ oder die Freiheit, zu hetzen

 

Und was hat diese dekadente, selbstzerstörerische Alte Welt so falsch gemacht? Sie hat sich erdreistet, Meinungsfreiheit nicht als Freifahrtschein für Rassismus, Frauenhass und Hetze zu verstehen. Schlimmer noch: Sie hat Gesetze erlassen, die verhindern, dass christliche Fanatiker Frauen vor Abtreibungskliniken bedrängen oder Koran-Verbrenner straflos bleiben. Skandal! Denn in der Gedankenwelt von Vance und seinen libertären Geldgebern aus dem Silicon Valley sind Hass und Hetze nicht etwa gesellschaftliches Gift, sondern ein schützenswertes Kulturgut.

 

Besonders verstörend für den aufrechten Republikaner: In Deutschland geht der Staat doch tatsächlich gegen Männer vor, die antifeministische Kommentare posten! Der Deutsche an sich mag sich nun verwundert die Augen reiben – wann genau ist es eigentlich zum Skandal geworden, dass Volksverhetzung verfolgt wird? Aber nein, in der schönen neuen Weltordnung der Trump-Fraktion ist es ein Menschenrecht, alles zu sagen, solange es nur gegen die richtigen Gruppen gerichtet ist.

 

Transatlantische Wahlhilfe für die AfD

 

Doch Vance wäre nicht der neue Statthalter des Trumpismus, würde er sich mit verbalen Spitzen begnügen. Nein, er wollte auch mit Taten glänzen – und traf sich, kaum in München gelandet, prompt mit Alice Weidel, der Galionsfigur der AfD. Dass Washington sich offen in die deutschen Wahlen einmischt, hätte früher einmal diplomatische Verwerfungen ausgelöst. Heute? Höchstens eine müde Notiz des Kanzlers, der sich gezwungen sah, die historische Brandmauer gegen rechts noch einmal zu erwähnen – als würde es die Herren in Washington interessieren.

 

Aber warum auch Zurückhaltung? In der neuen Ära der reaktionären Internationale, wo Trump, Musk, Weidel und Konsorten an einem Strang ziehen, zählt nicht mehr das lästige Gerede von Demokratie oder Bündnistreue. Es geht um Macht. Und wenn es den Europäern nicht passt, dass aus Washington Wahlhilfe für die neue Rechte kommt, dann ist das eben ihr Problem.

 

Natürlich durfte auch das Leib- und Magenthema jedes selbsternannten Patrioten nicht fehlen: die „Massenmigration“. Vance, stets um Volksgesundheit besorgt, erklärte den Europäern, dass niemand sie gefragt habe, ob sie Migranten aufnehmen wollen – und verwies auf ein tragisches Attentat in München, als Beweis für die angebliche Bedrohung. Die Logik dahinter? So schlicht wie zynisch: Ein Verbrechen = eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht. Die Methode ist bewährt, die Parolen altbekannt – und trotzdem funktioniert sie noch immer.

 

Washington diktiert, Europa nickt

 

Und dann zum eigentlichen Kern der Botschaft: Die Amerikaner verhandeln nicht mit Europa, sondern über Europa. Die Ukraine? Ein amerikanisches Projekt, dem die Europäer nachträglich beitreten dürfen – mit höheren Rüstungsausgaben, versteht sich. Die transatlantische Partnerschaft? Ein Relikt aus einer Zeit, in der Verbündete noch eine Rolle spielten. Jetzt gibt es einen neuen Sheriff in Washington, und der hält nichts von multilateralen Fesseln.

Was bleibt, ist ein Bild der neuen Ordnung: Amerika führt, die reaktionären Netzwerke wachsen, und Europa darf sich aussuchen, ob es kuscht oder sich verweigert. Letzteres wäre zu hoffen – doch wenn man sich die bisherigen Reaktionen ansieht, spricht wenig dafür. Die Dampfwalze rollt.

 

 
 
 

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