TL;DT: Deutschland fehlt es an vielem, nur nicht an Antisemit*innen, die ihren Hass als ‚Israelkritik‘ tarnen. Jüdische Menschen in Deutschland werden für Israels Politik in Haftung genommen, als wäre die Bedrohung ihres Lebens ‚selbstverschuldet‘. Das ist der alte Antisemitismus im neuen Gewand.
Deutschland mag vieles fehlen: bezahlbare Wohnungen, funktionierende Bahnen, soziale Gerechtigkeit, halbwegs brauchbare Politiker*innen. Doch eines hat dieses Land immer reichlich: Antisemit*innen, die ihren Hass auf Jüdische Menschen als „Israelkritik“ und „Antizionismus“ tarnen. Der Unterschied ist so subtil wie der zwischen Messer und Kehle.
Die Jüdische Allgemeine schreibt: „Noch nie seit der Schoa war jüdisches Leben in Deutschland so gefährdet.“ Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschlan, richtet diesen Appell an die demokratischen Parteien und die Bundesregierung. Ein Aufschrei, der in einem Land ertönt, das es nicht lassen kann, Jüdische Menschen zu belehren, wie sie ihre Bedrohung bitteschön selbst zu bewältigen hätten.
Und da kommt @t4mike_berlin daher, ein ganz Schlauer, der im Reich der besinnungslosen „Kritiker“ sein Unwesen treibt. Er hat die Lösung parat: „Verlasst die besetzten Gebiete, liefert die Kriegsverbrecher aus, entschädigt, was ihr zerstört habt, dann klappt’s auch wieder mit den Nachbarn.“ Ach, wäre es doch nur ein schlechter Scherz.
Aber nein, das ist der Geistesblitz eines Bürgers, der nicht merkt, dass er gerade Jüdische Menschen in Deutschland für die Politik Israels in Haftung nimmt. Das nennt man Antisemitismus, und zwar den ganz klassischen.
Man stelle sich vor: Der Zentralrat spricht von Angriffen auf Synagogen, von jüdischen Menschen, die sich nicht mehr sicher fühlen – hier, im gelobten Land der Erinnerungskultur. Und @t4mike_berlin posaunt heraus, das liege daran, dass Jüdische Mensche irgendwo anders etwas falsch machen. Als müssten Jüdische Menschen in Deutschland gefälligst erst die Weltpolitik richten, bevor sie es wagen, sich über Bedrohungen zu beklagen. Das nennt die Jerusalemer Erklärung Antisemitismus, Punkt fünf: Juden kollektiv für Israels Handlungen verantwortlich machen.
„Dann klappt’s auch wieder mit den Nachbarn.“ Übersetzt heißt das: Wenn Jüdische Menschen nur nett genug zu euren Peinigern seid, lassen sie euch vielleicht in Ruhe. Wenn nicht, nun ja, dann dürft ihr euch nicht wundern. Punkt sechs der Jerusalemer Erklärung lässt grüßen: Von Juden ein besonderes Verhalten erwarten, um nicht angegriffen zu werden. Der Täter wird entschuldigt, das Opfer wird belehrt. So einfach ist das – für einen Antisemiten.
Und weil das alles noch nicht reicht, kommt am Ende die Drohung: „Wer rechtsextreme Positionen vertritt, der muss eben auch mit Gegenwind rechnen.“ Jüdische Menschen, die in Deutschland auf die eigene Bedrohung hinweisen, werden von @t4mike_berlin kurzerhand zu Rechtsextremen erklärt. Was für ein unfassbarer Zynismus! Was für ein widerwärtiges Stück deutscher Kontinuität!
Das ist kein „Gegenwind“. Das ist Sturm, Hagel und Feuer gegen ein Volk, das man nie in Ruhe gelassen hat. Es ist die alte Leier vom „selbstverschuldeten“ Antisemitismus. Es ist die Ermutigung an die, die morgen die nächste Synagoge anzünden werden.
Und es ist das, was in Deutschland nie zu fehlen scheint: Antisemit*innen, die sich im Spiegel anschauen und denken, sie sähen einen „Israelkritiker*innen“.
Deutschland, ein Land der Mängel. Nur einer fehlt hier nie.
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