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Die große Zumutung

kpeterl

TL;DR: Lech Wałęsa und andere Dissidenten erinnern die USA daran, dass Freiheit kein Geschäft ist. Trump aber sieht in der Ukraine nur eine schlechte Wette. Wer Dankbarkeit für Hilfe verlangt, hat nicht verstanden, dass Demokratie kein Deal ist, sondern eine Verpflichtung.


 

Ein offener Brief erreicht das Oval Office, und man fragt sich unwillkürlich: Wurde er gelesen oder direkt in das symbolträchtige goldene Klo des Trump Towers gespült? Die Unterzeichner, darunter Lech Wałęsa und andere Veteranen des Kampfes gegen den Sowjetsozialismus, wissen, was es bedeutet, unterdrückt zu werden. Sie wissen, was es heißt, für Freiheit zu kämpfen, nicht in Talkshows und bei Steak-Dinners, sondern in Verhörräumen, mit gebrochenen Rippen und verlorenen Jahren. Sie wissen, was es bedeutet, einen Preis zu zahlen, ohne eine Quittung zu bekommen. Doch sie wissen nicht, dass es im Zeitalter des Donald Trump nicht mehr um Prinzipien, sondern um Deals geht – vorzugsweise um solche, bei denen einer zahlt und Trump kassiert.

 

Das Missverständnis der Dankbarkeit

 

„Dankbarkeit gebührt den heldenhaften ukrainischen Soldaten, die ihr Blut vergossen haben, um die Werte der freien Welt zu verteidigen“, schreiben die alten Dissidenten. Ein Satz so banal, dass er in einem normalen politischen Klima keiner Erwähnung bedürfte. Doch in einer Welt, in der Donald Trump für einen Staatsmann gehalten wird, ist nichts mehr normal. Er verlangt von Wolodymyr Selenskyj Dankbarkeit, als hätte man Churchill nach Pearl Harbor abverlangen müssen, Roosevelt für den japanischen Angriff zu danken. Ein atemberaubender Zirkelschluss, der sich nur in einem Hirn entwickeln kann, das Politik als eine Art Ramschmarkt begreift, in dem Werte gegen Loyalität eingetauscht werden – wie einst beim „besten Deal aller Zeiten“: den Trump University Diplomen.

 

Doch die Veteranen der demokratischen Opposition haben einen anderen Begriff von Geschichte. Sie wissen, dass Freiheit nicht in goldgerahmten Hotelsuiten verhandelt wird, sondern auf den Schlachtfeldern der Geschichte. Dass Menschen nicht für eine nette Geste sterben, sondern weil sie müssen. Und dass kein Mann, der sich für den „Retter des Westens“ hält, jemals danach fragen sollte, was er für seine Großzügigkeit zurückbekommt.

 

„Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass jedes Mal, wenn die Vereinigten Staaten Abstand zu demokratischen Werten und ihren europäischen Verbündeten halten wollten, sie am Ende eine Bedrohung für sich selbst darstellten“, schreiben die Dissidenten. Man könnte ergänzen: Die Geschichte des 21. Jahrhunderts zeigt, dass jedes Mal, wenn ein Narzisst mit einer Schwäche für Goldtapeten an die Macht kommt, er sich für das Zentrum der Welt hält und seine Verbündeten zu Randfiguren degradiert.

 

Woodrow Wilson wusste es 1917, Franklin D. Roosevelt wusste es 1941, Ronald Reagan wusste es, als er die UdSSR das „Reich des Bösen“ nannte. Was sie wussten, war simpel: Demokratie ist kein Geschäft. Es ist ein Prinzip, für das man einsteht, weil das Gegenteil davon Chaos, Unterdrückung und Barbarei bedeutet. Doch Trump? Er sieht in der Ukraine keinen Kampf für die Freiheit, sondern ein geopolitisches Hochrisikoinvestment mit unklarem Return on Investment. Wäre Kiew voll mit Golfplätzen, er hätte längst Interesse gezeigt.

 

„Das Menschenleben ist unbezahlbar, sein Wert lässt sich nicht mit Geld messen“, schreiben die ehemaligen politischen Gefangenen. Was für eine absurde Idee! Zumindest für jemanden, der denkt, dass alles – Moral, Ehre, Loyalität – einen Preis hat. Doch es gibt keinen Deal, keinen Rabatt, kein „Zwei für Eins“, wenn es um Freiheit geht. Man kann nicht billig auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.

Wałęsa und seine Mitstreiter erinnern daran, dass die USA sich an das Budapest-Memorandum zu halten haben, jenes Abkommen, in dem sich Washington verpflichtete, die territoriale Integrität der Ukraine zu garantieren. Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Ein Konzept, das Trump genauso fremd ist wie Bescheidenheit und Lektüre.

 

Das Imperium der Peinlichkeit

 

„Wir erinnern uns daran, dass es ohne Präsident Ronald Reagan und das amerikanische finanzielle Engagement nicht möglich gewesen wäre, den Zusammenbruch des Sowjetunion-Imperiums zu bewirken“, schreiben die Autoren. Und ja, Reagan, der Kalte Krieger mit der Hollywood-Stimme, nannte die UdSSR das „Reich des Bösen“. Ein Mann mit seinen eigenen fragwürdigen Methoden, gewiss, aber mit einem Verständnis dafür, dass Geschichte gemacht wird, nicht verhandelt. Verglichen mit Trump wirkt selbst Reagan wie ein römischer Konsul, weise und diszipliniert.

 

Doch Trump ist kein Reagan. Er ist nicht einmal Nixon. Nixon hatte immerhin die Chuzpe, seine eigenen Machenschaften zu kaschieren. Trump twittert sie hinaus. Die Ukraine ist für ihn keine Bastion der Demokratie, sondern eine schlechte Wette. Und so nimmt die Tragödie ihren Lauf.

 

Der Brief von Wałęsa und seinen Mitstreitern ist keine Bitte, sondern eine Warnung. Eine Warnung an die USA, sich nicht selbst zu verraten. Die Ukraine kämpft nicht für einen Bonuspunkt im geopolitischen Monopoly, sondern für die Werte, die der Westen angeblich verteidigt. Wenn Amerika nun „Dankbarkeit“ erwartet, dann hat es die Bedeutung von Prinzipien nicht nur vergessen – es hat sie verraten.

 

Die wahre Prüfung ist nicht, ob Selenskyj sich tief genug verbeugt. Die wahre Prüfung ist, ob die USA noch wissen, wofür sie stehen. Und es sieht nicht gut aus.

 

Der Brief in der Deutschen Übersetzung


„Herr Präsident,

Wir haben Ihr Gespräch mit dem Präsidenten der Ukraine mit Angst und Abneigung erlebt. Dankbarkeit für materielle Hilfe zu erwarten ist eine Beleidigung. Dankbarkeit gebührt den heldenhaften ukrainischen Soldaten, die ihr Blut vergossen haben, um die Werte der freien Welt zu verteidigen.

Wir verstehen nicht, wie Sie als Führer der USA das nicht sehen können.

Die Atmosphäre im Oval Office während dieses Gesprächs erinnerte uns an die Verhöre des kommunistischen Sicherheitsdienstes. Staatsanwälte und Richter haben uns auf Geheiß der kommunistischen Polizei ebenfalls erklärt, dass sie alle Karten in der Hand haben und wir keine. Sie verlangten von uns, unser Geschäft einzustellen, indem sie argumentierten, dass Tausende von unschuldigen Menschen wegen uns leiden. Wir sind schockiert, dass Herr Präsident Wolodymyr Zelenski genauso behandelt wurde.

Wir erinnern uns, dass ohne Präsident Reagan und das amerikanische finanzielle Engagement es nicht möglich gewesen wäre, den Zusammenbruch der Sowjetunion zu bewirken. Reagan war sich bewusst, dass Millionen von versklavten Menschen in Sowjetrussland und den eroberten Ländern litten, darunter Tausende von politischen Häftlingen, die für ihr Opfer zur Verteidigung demokratischer Werte mit Freiheit bezahlten. Seine Größe war, daß er die UdSSR ohne zu zögern den "Imperium des Bösen" nannte und ihr einen entscheidenden Kampf gab. Wir haben gewonnen, und die Statue von Präsident Ronald Reagan steht heute in Warschau gegenüber der US-Botschaft.

Herr Präsident, materielle Hilfe - militärische und finanzielle - kann nicht dem Blut aufgewogen werden, das im Namen der Unabhängigkeit der ganzen freien Welt vergossen wird. Menschenleben sind unbezahlbar, ihr Wert lässt sich nicht mit Geld messen. Dankbarkeit gebührt denen, die Blut und Freiheit dafür opfern.

Wir fordern die USA auf, sich auf die Garantien zu Besinnen, die sie im Budapest Memorandum gegeben haben. Diese Garantien sind bedingungslos, ein wirtschaftlicher Deal ist nicht vorgesehen“

 

 

 
 
 

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