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Die letzte Mahnung – David Moscovic und das Ende der Erinnerung

kpeterl

TL;DR: David Moscovic, Überlebender von Auschwitz, warnt: „Meine Mutter ging direkt in die Gaskammer.“ Doch heute verblasst die Erinnerung. Stolpersteine werden entfernt, Gedenkstätten boykottiert, Schuld wird verworfen. Wer hört zu, bevor nur noch Schweigen bleibt?


Achtzig Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau erzählt David Moscovic seine Überlebensgeschichte und sagt, er sei beunruhigt über das, was er am Tag der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump gesehen hat.

In einem Raum voller Würdenträger sitzt David Moscovic. Seine Stimme ist leise, sein Blick verloren in einer schmerzlichen Ferne, während er von Auschwitz erzählt. „Meine Mutter ging direkt in die Gaskammer“, sagt er. Es sind wenige Worte, die mit ihrer unbarmherzigen Klarheit die Dimension der Unmenschlichkeit skizzieren. Doch während dieser Wahrheit sich unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis brennen sollte, scheitert die Realität: Die Erinnerung verblasst, die Mahnung verhallt, die Schuld wird verworfen.

 

Moscovic spricht nicht allein über die Vergangenheit; er adressiert die Gegenwart. Er berichtet von den Entgleisungen einer Zeit, in der ein Mann im Kapitol ein Sweatshirt mit der Aufschrift „Camp Auschwitz – Arbeit macht frei“ trägt. Er zeigt auf Elon Musk, der den Nazi-Gruß relativiert und damit symbolisch die Entschuldung der Gegenwart vorantreibt. Er erinnert an Markus Fischer-Jäger, AfD-Anhänger, der den „Ende-des-Schuldkults“-Diskurs mit offensichtlichem Zynismus befeuert – ein Echo von Höckes „erinnerungspolitischer Wende um 180 Grad“. Was Moscovic überlebt hat, wird von diesen Kräften nicht als moralisches Erbe, sondern als Störfaktor begriffen, der eine geschichtslose, unbeschwerte Identität behindert.

 

Dabei geht es um mehr als nur Erinnerung – es geht um die gezielte Auslöschung von Geschichte. Nicht im Sinne von Fukuyamas naivem „Ende der Geschichte“, sondern als revisionistisches Projekt, das den zentralen Bruch der Zivilisation, die Shoah, als überkommenes Detail einer überholten Erzählung betrachtet. Stolpersteine werden herausgerissen, Gedenkstätten attackiert, Gedenkveranstaltungen ignoriert. Die AfD fordert, „Mittel für Gedenkstätten zur NS-Zeit zu streichen“ – ein offener Angriff auf das Gedächtnis. Ihre Vertreter – von Björn Höcke bis Alice Weidel – sprechen unverhohlen aus, was längst in vielen Köpfen spukt: Schluss mit der Schuld, Schluss mit der Auseinandersetzung, Schluss mit der Mahnung.

 

Doch es sind nicht nur die Rechten, die diese Agenda befeuern. Junge Linke, die auf Demonstrationen in Berlin „Free Palestine from German Guilt“ skandieren, enthüllen, wie weit die Verachtung für die historische Verantwortung reicht. Eine Parole, die nicht nur vor Zynismus trieft, sondern auch zeigt, wie tief der Bruch zwischen progressiver Politik und der Erinnerungskultur mittlerweile ist. In einem beängstigenden Konsens mit der Rechten wird deutsche Schuld als Bürde empfunden, die einer selbstgerechten Weltanschauung im Wege steht.

 

David Moscovic hätte all das nicht erwartet. „Ich dachte, so etwas werde ich nie wieder erleben“, sagt er mit einem Ausdruck, der zwischen Resignation und ungläubigem Entsetzen schwankt. Doch 80 Jahre nach Auschwitz sehen wir zu, wie die letzten Überlebenden sterben und mit ihnen die letzte lebendige Verbindung zu einem unfassbaren Kapitel der Menschheitsgeschichte. Was bleibt, wenn die Erinnerung an die Shoah, einst das moralische Fundament der Nachkriegsgesellschaft, vollends verschwindet? Eine Welt, in der „Arbeit macht frei“ als ironische Floskel missbraucht wird? Eine Gesellschaft, die Antisemitismus als Überbleibsel vergangener Zeiten betrachtet, statt ihn als tief verwurzelte Denkstruktur zu erkennen?

 

David Moscovic hat die Hölle überlebt. Seine Worte sind keine Zumutung, kein „Schuldkult“. Sie sind eine letzte Mahnung. Sie zu ignorieren, bedeutet nicht nur, intellektuell zu kapitulieren. Es bedeutet, moralisch zu versagen – gegenüber denen, die mit nichts als ihrer Würde in den Gaskammern starben. Wer wird dafür sorgen, dass Moscovics Stimme nicht in der Kakophonie von Geschichtsrevisionisten und Opportunisten untergeht?

Denn wenn Moscovic stirbt, bleibt nichts als unser Schweigen. Und Schweigen war stets der Beginn des Grauens.


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