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Die schleichende ideologische Blautönung der Republik

kpeterl

TL;DR: Die AfD braucht keine Ministerien – sie regiert längst. Ihre Sprache ist die neue politische Mitte, ihre Forderungen werden von CDU, CSU, SPD, FDP, BSW und teilen der Grünen übernommen. Wer braucht Faschisten in der Regierung, wenn Demokrat*innen ihre Agenda durchsetzt?



Es bestimmt längst die Richtlinien der Politik, wer dafür gar nicht regieren muss.
Es bestimmt längst die Richtlinien der Politik, wer dafür gar nicht regieren muss.

Die AfD regiert längst – nicht durch Wahlen, sondern durch Worte. Sie stellt keine Kanzlerin, keinen Minister, aber sie gibt den Ton an. Ihre Feindbilder sind die Themen der Republik. Ihre Sprache ist die Sprache der Regierung. Ihre Gegner haben längst angefangen, für sie Politik zu machen – aus Angst, aus Opportunismus, am Ende aus Überzeugung.

 

Deutschland hat sich verändert. Nicht nur, weil die AfD stärker geworden wäre, sondern vor allem, weil sich die Parteien, die Medien, der öffentliche Diskurs nach ihr ausrichten. Eine Partei, die einst als Tabubruch galt, ist heute das neue Normal.

 

 

Vom Rand in die Mitte – Ein schleichender Prozess

 

Es begann subtil. Erst waren es Begriffe. „Sozialtourismus“, „Migrationskrise“, „illegale Flüchtlinge“. Früher fand man sie auf den Wahlplakaten rechtsextremer Splitterparteien oder in den Kommentaren zwielichtiger Telegram-Foren. Heute finden sie sich in Regierungserklärungen, Parteiprogrammen, Talkshows.

 

Dann kamen die Argumente, oftmals aus unerwarteten Winkeln des Parlaments. Ausgerechnet die Fraktionsvorsitzende der Linken und Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl 2017 erklärte: „Natürlich sei die AfD keine Lösung“, aber „die Sorgen der Menschen müssen ernst genommen werden.“ Die gleiche Argumentation könnte man auf Magengeschwüre anwenden – niemand würde sie deshalb haben wollen. Doch genau das geschieht. Wer die AfD bekämpfen will, nimmt ihre Themen auf, einzig die Linke blieb trotz der aggressiven Arbeit von Wagenknecht, De Masi, Hänsel oder Dagdelen zur Einbindung von AfD-Programmatik ins linke Gedankengut resilient.

 

Die anderen Parteien handeln nach der Maxime: „Wer AfD-Wähler*innen zurückgewinnen möchte, übernimmt ihre Forderungen.“ Und: „Wer ihre Strategie entlarven will, redet wochenlang über ihre Positionen.“ Beides führte zum Einsickern von AfD-Gedankengut in den Diskurs der Republik.

 

Schließlich wurde das, was einst als untragbar galt, zur Position der Demokrat*innen. Abschiebungen? „Schneller, härter, effizienter“, fordert die Ampel-Regierung. Bürgergeld? „Muss gekürzt werden“, findet Friedrich Merz, der sich mit jedem Satz näher an jene herandient, gegen die er angeblich kämpft. Man übernehme nicht die AfD-Rhetorik, sagt man, sondern nur die „Realität“. Aber wer hat diese Realität geformt?

 

 

Die CDU: AfD-Politik im bürgerlichen Anstrich

 

Friedrich Merz weiß genau, wie weit er gehen kann. Er inszeniert sich erst als Bollwerk gegen die AfD, nur um dann zu testen, wie viel AfD-Rhetorik er übernehmen kann, ohne seinen „bürgerlichen“ Anstrich zu verlieren. „Remigration“, ein Begriff, der aus rechtsextremen Denkfabriken stammt, wurde von der CDU als vermeintliche Selbstverständlichkeit in die Debatte eingeführt.

 

Diese Verteidiger*innen der Demokratie? Helfen der AfD mehr, als diese sich je erhofft hätte. Die CDU, eine Partei, die einst für ein wirtschaftsliberales, transatlantisches Deutschland stand, nimmt nun Begriffe in den Mund, die noch vor wenigen Jahren als untragbar galten. Nicht, weil sie mit der AfD kooperieren will – noch nicht –, sondern weil sie Angst hat, nicht mit ihr kooperieren zu müssen.

 

Und während Merz testet, wie nah er der AfD kommen kann, ohne sie offiziell einzuladen, sitzen ihre Vertreter bereits in jeder Talkshow. Ganz staatsmännisch, ganz bürgernah, als sei das alles völlig normal.

 

 

Fast täglich, immer dasselbe Schauspiel: Ein AfD-Politiker sitzt auf einem Stuhl, gibt sich staatsmännisch, inszeniert sich als Stimme des „kleinen Mannes“, während die anderen auf dem Podium sich winden, um nicht elitär, „linksgrün versifft“ oder weltfremd zu wirken. Die AfD muss gar nichts tun, sie bekommt die Bühne geschenkt.

 

Was als harte Auseinandersetzung verkauft wird, ist in Wahrheit eine schleichende Legitimierung. Jede Provokation, jeder kalkulierte Tabubruch führt nicht zur Ächtung, sondern zur Debatte – und damit zur Normalisierung. Heute bestreitet niemand mehr die Existenz einer angeblichen „Migrationskrise“, weil die AfD diesen Begriff fest im politischen Vokabular verankert hat. Die Medien haben die Rolle des Korrektivs längst verloren – sie sind zur Echokammer der Rechten geworden.

 

Antisemitismus – der alte Hass in neuem Gewand

 

Die AfD war nie eine Partei ohne Antisemitismus. Sie hat ihn nur angepasst.

Was früher vielleicht nur rechte Polizeigewerkschaftler wie Manuel Ostermann auf X und die AfD zu sagen wagten, ist heute „deutsche Staatsräson“ und politische Linie jeder Partei im Bundestag.

 

Beatrix von Storch formulierte es im Bundestag zur Antisemitismusresolution offen: Die Parteien der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ oder gar „linke“ Parteien übernehmen heute ganz offen Positionen der AfD. Vor einigen Jahren galt es noch als Skandal, wenn die AfD von „importiertem Antisemitismus“ sprach. Heute werden dieselben Argumente von CDU, SPD und Teilen der Grünen übernommen.

 

Die Lösung der AfD? „Muslimische Antisemiten in den Flieger setzen und ab in die Heimat, tschüss und nicht auf Wiedersehen!“

Die Antwort der „demokratischen Parteien“? „Repressive Möglichkeiten ausschöpfen, insbesondere im Straf- und Staatsbürgerschaftsrecht und im Asyl- und Aufenthaltsrecht.“

 

Die Ironie ist bitter: Ein Land, das seine historische Schuld nicht einmal konsequent aufarbeitet, konstruiert nun einen neuen Hauptfeind des jüdischen Lebens – nicht die eigene Vergangenheit, nicht die wachsenden rechtsextremen Strukturen, sondern den muslimischen Einwanderer. Dass eine Partei wie die AfD, in deren Reihen sich Holocaustrelativierer und Fans von Viktor Orbáns autoritärem Staatsumbau tummeln, sich plötzlich als Verteidigerin der jüdischen Gemeinde inszeniert, ist grotesk. Dass jedoch CDU, SPD und FDP dieses Framing übernehmen, ist eine politische Bankrotterklärung.

 

Die AfD regiert längst – ohne Macht, aber mit Wirkung

 

Erst hieß es: „Mit der AfD wird nicht koaliert.“Dann: „Mit der AfD wird nicht zusammengearbeitet.“Dann: „Auf kommunaler Ebene muss man pragmatisch sein.“Und dann?

 

Man kennt den Verlauf. Erst geht man Kompromisse ein, dann übernimmt man Positionen, dann verliert man Hemmungen. Die CDU ist bereits auf dem Weg dorthin. Die FDP ebenso. Und die Medien begleiten den Prozess, als wäre es eine natürliche Entwicklung.

 

Es ist die Geschichte einer langsamen Gewöhnung. So lange, bis niemand mehr überrascht ist, wenn es irgendwann heißt:

„Aber mit einer gemäßigten AfD kann man doch zusammenarbeiten?“

Früher fragte man: „Wird die AfD eines Tages regieren?“

Heute ist die Frage eine andere:

Wenn ihre Politik längst umgesetzt wird, wozu braucht es dann überhaupt noch eine AfD?


 
 
 

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