Eine Kritische Analyse von Jan Schlemermeyers „Einiges zu gewinnen – noch mehr zu verlieren“
- kpeterl
- 20. März
- 4 Min. Lesezeit
TL;DR: Schlemermeyer analysiert den Rechtsruck treffend, kritisiert SPD und Grüne zu Recht für ihr Versagen und fordert eine linke Sicherheitspolitik. Doch ohne Klassenanalyse und wirtschaftliche Strategie bleiben zentrale Leerstellen bestehen.

Jan Schlemermeyers Beitrag „Einiges zu gewinnen – noch mehr zu verlieren“ ist eine scharfsinnige Analyse der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse. Er beschreibt präzise die gefährliche Normalisierung rechter Diskurse durch SPD und Grüne, die sich in ihrem verzweifelten Bemühen, die politische Mitte zu halten, faktisch zu Steigbügelhaltern einer gesellschaftlichen Rechtsverschiebung machen. Ebenso richtig ist seine Einschätzung, dass Die Linke ihren Wahlerfolg nicht veralteten sozialistischen Forderungen verdankt, sondern ihrer klaren antifaschistischen Positionierung. Doch gerade an den entscheidenden Stellen bleibt der Text unzureichend: Die wirtschaftliche Dimension des Rechtsrucks wird nicht ausreichend reflektiert, die Differenzierung zwischen Konservativen und Rechtsradikalen bleibt unscharf, und der sicherheitspolitische Vorschlag einer „strategisch unabhängigen EU“ ist konzeptionell problematisch.
Eine Klare Analyse der Diskursverschiebung nach rechts
Schlemermeyer erkennt die zentrale Gefahr: den Wandel der politischen Landschaft durch die „Dammbrüche“ der CDU unter Friedrich Merz. Er stellt treffend fest:
„Der neue, rechtsoffene Block von AfD und Union bis zu BSW und FDP hat beim Dammbruch von Friedrich Merz Ende Januar gezeigt, dass eine rechte »Gestaltungsmehrheit« keine abstrakte Drohung ist.“
Seine Kritik an der SPD und den Grünen ist in diesem Kontext präzise:
„SPD und Grüne hatten mit ihrer Anpassung an den rechten Abschottungswahlkampf und der weitgehend widerstandslosen Hinnahme von Friedrich Merz als Kanzler ‚Schlimmeres verhindert‘. Damit haben sie zugelassen, dass das Framing des Wahlkampfes insgesamt nach rechts verschoben wurde. Geholfen hat es nicht. Im Ergebnis haben SPD und Grüne deutlich verloren.“
Hier trifft Schlemermeyer den entscheidenden Punkt: Der Glaube, man könne rechte Narrative übernehmen und ihnen durch rechtsstaatliche „Fußnoten“ die Schärfe nehmen, führt nicht zur Stabilisierung der progressiven Parteien, sondern zu ihrer Erosion. Der Rechtsruck wird damit nicht gebremst, sondern legitimiert.
Unzureichende ökonomische Perspektive
So präzise Schlemermeyers Analyse der politischen Dynamik ist, so unzureichend bleibt sein Blick auf die ökonomischen Grundlagen des Rechtsrucks. Er benennt korrekt die Gefahr der sozialen Desintegration:
„Das größte Sicherheitsrisiko wäre nun, nicht endlich dauerhaft und massiv in sozialen Zusammenhalt, stabile Demokratie und klimagerechte Zukunft zu investieren.“
Doch seine Lösung bleibt auf Appelle an eine progressive Wirtschaftspolitik beschränkt, ohne eine tiefere Reflexion über die Eigentumsverhältnisse:
„Es ist fatal, wenn SPD und Grüne nun Merz seinen Versuch, nur Aufrüstung dauerhaft von der Schuldenbremse auszunehmen, durchgehen lassen. Damit geben sie den Hebel für deren grundlegende Reform, die dringende Zukunftsinvestitionen auf Dauer möglich macht, aus der Hand.“
Der entscheidende Punkt wird hier verpasst: Es geht nicht nur um eine Reform der Schuldenbremse, sondern um eine grundsätzliche Veränderung der Wirtschaftsstrukturen. Der Neoliberalismus hat den sozialen Zusammenhalt ausgehöhlt, und der Rechtsruck ist nicht nur eine kulturelle oder sicherheitspolitische Frage, sondern auch das Resultat der Verarmung breiter Teile der Bevölkerung. Eine linke Strategie muss daher nicht nur gegen die extreme Rechte kämpfen, sondern auch gegen den Kapitalismus, der ihre Grundlage schafft.
Die problematische Forderung nach einer „strategisch unabhängigen EU“
Besonders kritisch ist Schlemermeyers sicherheitspolitische Argumentation. Er fordert:
„Konzepte für eine strategisch unabhängige EU und eine aktive Verteidigung unserer Demokratie.“
Dies bleibt jedoch vage: Bedeutet „strategische Unabhängigkeit“ eine Entkopplung von der NATO? Eine europäische Armee? Eine eigenständige EU-Sicherheitsstrategie?
Noch problematischer ist seine Position zur Rüstungsindustrie:
„Forderungen nach einer Verstaatlichung von Rüstungskonzernen und einer europäischen Republik, die auch der Demokratisierung der gemeinsamen Verteidigungspolitik dienen würde, könnten gute Alleinstellungsmerkmale für eine linke Sicherheitspolitik im multipolaren Kapitalismus sein.“
Hier bleibt Schlemermeyer unklar: Eine bloße Verstaatlichung von Rüstungskonzernen löst das Problem der Militarisierung nicht. Der Staat als größter Waffenproduzent wäre kein Garant für eine friedlichere Politik – im Gegenteil, er könnte sich noch effizienter als geopolitischer Akteur positionieren. Die Frage der Rüstungsproduktion muss vielmehr im Kontext einer umfassenden wirtschaftlichen Transformation betrachtet werden:
Wie kann eine Konversion von Rüstungsproduktion zu ziviler Produktion gelingen?
Welche Rolle spielt die Rüstungsindustrie in der kapitalistischen Profitlogik?
Wie kann eine linke Sicherheitspolitik entmilitarisiert werden, statt bloß „demokratisiert“?
Ohne diese Reflexion bleibt die Forderung nach einer „linken Sicherheitspolitik“ in der Gefahr, lediglich eine reformistische Anpassung an bestehende Machtstrukturen zu sein.
Fehlende Differenzierung zwischen Konservativen und der extremen Rechten
Ein weiteres Problem ist die Gleichsetzung von Union, FDP und AfD als „rechtsoffener Block“:
„Nun sind in Deutschland gut 60 Prozent der Wählerinnen bereit, eine offen faschistische Partei oder solche Parteien zu wählen, die bereit sind, mit dieser zu kooperieren.“
Diese Zahl ist besorgniserregend, aber ihre Interpretation bleibt problematisch. Die CDU ist zweifellos in Teilen nach rechts offen, doch sie ist nicht homogen. Es gibt innerparteiliche Konflikte zwischen Wirtschaftsliberalen, Konservativen und Rechtsradikalen. Die AfD wiederum ist eine klar faschistische Kraft, die sich von der CDU nicht nur taktisch, sondern strukturell unterscheidet.
Warum ist diese Unterscheidung wichtig? Weil eine effektive progressive Strategie nicht in der moralischen Verdammung des gesamten konservativen Lagers bestehen kann, sondern darin, dessen Widersprüche zu nutzen. Eine politische Linke, die alle Konservativen pauschal als Faschisten behandelt, gibt der CDU keinen Grund mehr, sich von der AfD abzugrenzen – sie treibt sie nur weiter in deren Arme.
Ein wertvoller Beitrag mit strategischen Defiziten
Schlemermeyers Beitrag ist eine scharfsinnige Analyse der politischen Lage und ein notwendiges Plädoyer für eine offensive antifaschistische Politik. Er erkennt die Gefahr des Rechtsrucks, kritisiert zu Recht die Anpassung der SPD und Grünen an rechte Diskurse und fordert eine strategische Neuausrichtung der Linken.
Doch genau hier liegt auch das Problem: Die wirtschaftlichen Ursachen des Rechtsrucks bleiben unterbelichtet, die sicherheitspolitischen Vorschläge sind zu vage, und die Gleichsetzung von Konservativen und Faschisten ist strategisch kontraproduktiv.
Eine wirklich wirksame linke Strategie muss über eine Verteidigung der Demokratie hinausgehen – sie muss die Eigentumsverhältnisse und die Produktionsstrukturen angreifen, um die Grundlagen des autoritären Kapitalismus zu zerstören. Ohne diese Analyse bleibt auch die beste politische Strategie letztlich reformistisch.
Schlemermeyers Text ist ein guter Ausgangspunkt – aber die notwendige radikale Perspektive bleibt er schuldig.
Jan Schlemermeyers „Einiges zu gewinnen – noch mehr zu verlieren“
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