TL:DR: Für die Junge Welt steckt hinter jeder Protestbewegung der Westen – finstere Puppenspieler, die überall Regimewechsel anzetteln. Georgien? Natürlich vom Westen gesteuert. Russland? Immer unschuldig. Einfache Weltbilder sind praktisch – nur meistens falsch.
Für die Junge Welt steckt hinter jeder Protestbewegung der Westen – finstere Puppenspieler, die überall Regimewechsel anzetteln. Georgien? Natürlich vom Westen gesteuert. Russland? Immer unschuldig. Einfache Weltbilder sind praktisch – nur meistens falsch.
Georgien, Proteste, ein drohender Bürgerkrieg – und wer steckt dahinter? Wer die Junge Welt liest, kennt die Antwort bereits, bevor er den Artikel überhaupt zu Ende gelesen hat: der Westen natürlich! In einem Interview mit den georgischen Kommunisten Temur Pipia und Ilia Lobjanidze, veröffentlicht am 2. Januar 2025, wird das altbewährte Feindbild des Westens wieder einmal in den Vordergrund gestellt. Die Junge Welt tut, was sie am besten kann: Sie konstruiert eine Welt, in der der Westen immer das Böse ist – und alle, die sich dagegenstellen, automatisch die Guten.
Doch das Interview ist mehr als nur eine Wiederholung altbekannter Narrative. Es zeigt exemplarisch, wie konsequent die Junge Welt geopolitische Entwicklungen durch die Brille eines verschwörungsideologischen Antiimperialismus betrachtet. Wer sind die Pro-EU-Demonstranten in Georgien? Laut Pipia und Lobjanidze: Agenten des Westens. Wer plant den Umsturz? Die CIA, Soros und diverse westliche Stiftungen. Wer verteidigt Georgien? Natürlich die sozialistischen Kräfte, die sich gegen den imperialistischen Westen zur Wehr setzen. Willkommen in der simplifizierten Welt der Jungen Welt, wo sich Geschichte in immer gleicher Weise wiederholt
.
Das immergleiche Drehbuch: Marionetten und Puppenspieler
Laut Pipia und Lobjanidze sind die Pro-EU-Proteste in Georgien keine organische Bewegung der Bewohner*innen Georgiens. Nein, dahinter stehen finstere Mächte aus Washington, London und Berlin. Die Demonstranten, die Neuwahlen und Reformen fordern, sind keine Bürger*innen, die aus eigenem Antrieb handeln – sie sind Marionetten, gelenkt von unsichtbaren Puppenspielern. Wer die Strippen zieht? Natürlich der Westen, der, so die Behauptung, gezielt Regimewechsel inszeniert, um Georgien gegen Russland in Stellung zu bringen.
Das Narrativ ist nicht neu. Es erinnert an die russische Darstellung des Maidan-Protests in der Ukraine 2014. Auch dort wurde behauptet, der Westen habe faschistische Gruppen reaktiviert, um einen Putsch herbeizuführen. Und genauso wie in der Ukraine wittert die Junge Welt auch in Georgien die Hand westlicher Geheimdienste hinter jeder politischen Bewegung, die nicht im Sinne Moskaus ist.
Doch dieses Drehbuch hat einen entscheidenden Haken: Es ignoriert die gesellschaftlichen Realitäten in den betroffenen Ländern.
In Georgien gibt es eine breite Ablehnung gegenüber russischer Einflussnahme. Die Bevölkerung sieht in der EU eine Chance auf Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit. Dass diese Beweggründe keine Erwähnung finden, zeigt, wie sehr die Junge Welt darauf fixiert ist, jedes politische Ereignis in einem geopolitischen Machtspiel zu deuten, in dem der Westen immer der Böse ist.
Die Faschismus-Keule: Ein altbewährtes Mittel
Kein Artikel in der Junge Welt wäre komplett ohne den Hinweis, dass die Gegner*innen der Kommunist*innen eigentlich Faschist*innen sind. Auch im Gespräch mit Pipia und Lobjanidze wird diese Karte gespielt. Der ehemalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili wird als Anführer eines „protofaschistischen Regimes“ bezeichnet.
Die Pro-EU-Protestierenden? Verbindungen zur Georgischen Legion, einer Einheit, die in der Ukraine kämpft und angeblich in der Tradition jener historischen Legion steht, die im Zweiten Weltkrieg mit Nazideutschland kollaborierte.
Doch was bedeutet es eigentlich, wenn jede oppositionelle Bewegung pauschal als faschistisch bezeichnet wird? Es bedeutet, dass jegliche Kritik an Russland und seinen Verbündeten moralisch diskreditiert wird.
Die Kommunist*innen in Georgien werden zu heroischen Kämpfer*innen gegen den Faschismus stilisiert – und wer gegen sie ist, muss zwangsläufig ein Faschist sein. Diese Schwarz-Weiß-Malerei hat nichts mit einer differenzierten Analyse zu tun. Sie dient nur dazu, die eigenen Anhänger*innen in ihrer ideologischen Blase zu bestätigen.
Der Westen als ewiger Feind
Ein zentraler Aspekt des Gesprächs ist die Dämonisierung des Westens. Besonders die USA und Großbritannien werden als treibende Kräfte hinter den Protesten dargestellt. Die Open Society Foundations und das National Endowment for Democracy werden als zentrale Geldgeber genannt. Sogar Deutschland wird eine Rolle in dem vermeintlichen Komplott zugeschrieben, weil deutsche Stiftungen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung in Georgien aktiv sind.
Doch warum dieser Fokus auf den Westen? Warum wird Russland, das in Georgien nachweislich einen starken Einfluss ausübt und in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach in das Land einmarschiert ist, und seit August 2008 rund 20 Prozent des Landes besetzt hält , in dem Gespräch gar nicht erwähnt? Ganz einfach: Weil es nicht ins Weltbild der Junge Welt passt. Russland kann in dieser Logik kein imperialistischer Akteur sein. Es ist immer nur Verteidiger gegen den bösen Westen.
Diese selektive Wahrnehmung führt zu einer verzerrten Darstellung der Realität. Ja, westliche Stiftungen sind in Georgien aktiv. Aber die Idee, dass die Bevölkerung nur deshalb auf die Straße geht, weil sie von außen gesteuert wird, ignoriert die lokalen Dynamiken und Wünsche der georgischen Bürger.
Der Retter in der Not: Mikheil Kavelashvili
Doch keine Sorge! Die georgischen Kommunist*innen haben einen neuen Hoffnungsträger gefunden: den neuen Präsidenten Mikheil Kavelashvili. Seine Wahl zum Präsidenten erfolgte in der letzten Dezemberwoche 2024, wo er erklärte, seine Vorgängerin habe die Verfassung verletzt. Die Legitimität der Wahlen wurde angefochten, wobei Oppositionelle von Manipulation sprachen, jedoch residiert Kavelashvili derzeit im Präsidialamt, einem Amt, das weitgehend zeremoniell ist.
Ein Mann, der keine Gelegenheit auslässt, gegen den Westen zu wettern. Kurz nach seiner Amtseinführung behauptete Kavelashvili, die Opposition werde von den USA kontrolliert und plane eine gewaltsame Revolution. Besonders scharf kritisierte er die Förderung von LGBTQ-Rechten durch westliche Organisationen. Diese Toleranz bezeichnete er als „einen Akt gegen die Menschlichkeit“.
Für die Junge Welt passt Kavelashvili perfekt ins Bild. Er steht für konservative Werte, Nationalismus und eine prorussische Außenpolitik – und er ist bereit, den Westen offen als Feind zu benennen. Dass er dabei die Rechte von Minderheiten als Bedrohung darstellt und westliche Demokratien dämonisiert, scheint keinen zu stören.
Eine Welt ohne Westen als das Böse?
Die Berichterstattung der Junge Welt über Georgien folgt einem klaren Muster: Der Westen ist immer der Böse, Russland immer der Gute. Demokratische Bewegungen werden als Marionetten des Westens abgetan, während konservative, prorussische Kräfte als Helden dargestellt werden.
Doch diese vereinfachte Sichtweise ignoriert die Realität. Georgien ist kein Spielball zwischen Ost und West. Es ist ein Land mit einer eigenen Geschichte, eigenen Konflikten und eigenen Wünschen. Die Menschen dort haben ein Recht auf Selbstbestimmung – und sie brauchen weder westliche Puppenspieler noch russische Retter.
Am Ende bleibt der Eindruck: Die Junge Welt braucht den Westen als Feindbild. Ohne den Westen als das Böse würde ihr Weltbild zusammenbrechen. Und genau das ist der wahre Albtraum der Junge Welt.
Comments