TL;DR: Fabio De Masi wittert eine Wahlverschwörung gegen das BSW, weil es knapp scheiterte. Statt Selbstkritik: Medien, Behörden, junge Wähler – alle schuld. Wer Demokratie so versteht, disqualifiziert sich selbst. Wer nicht 5 % holt, kommt nicht rein. So einfach ist das.

Über Fabio De Masi, die verlorenen Stimmen und das ewige Gejammer der Antisystem-Verschworenen
Fabio De Masi, einst Hoffnungsträger des sich links gebenden, Antiamerikanismus und antisemitisch grundierten Antizionismus als Antiimperialismus verkaufenden Flügels der Linken, nun Jäger der verlorenen Stimmen, hat sich aufgemacht, die Wahrheit über die Bundestagswahl 2024 zu enthüllen. Und wie es sich für einen Enthüllungsritter gehört, ist diese Wahrheit kein schnödes Wahlanalysepapier, sondern ein episches Drama, in dem sich das politische Establishment, die Medien und eine manipulierbare, oberflächliche Wählerschaft gegen das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verschworen haben – eine Verschwörungstheorie, die irgendwo zwischen QAnon und „Die Erde ist hohl“ rangiert.
Denn wenn De Masi eines beherrscht, dann die Kunst, in jedem politischen Ereignis eine Intrige zu wittern, die natürlich zu Ungunsten der wahren Antisystem-Opposition verläuft. Die Medien? Gesteuert! Die Wahlbehörden? Unfähig oder gar Handlanger des Systems! Die Linke? Ein Trojanisches Pferd der Rüstungslobby! Und die jungen Wähler? Nun ja, die sind ohnehin ein Fall für sich.
Laut De Masi ist die Generation TikTok nicht fähig, eigenständig politische Positionen zu entwickeln – stattdessen wird sie durch flüchtige Ästhetik gesteuert. Ihr Missfallen an Putin? Nicht etwa eine Reaktion auf seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg oder seine Oligarchen-Politik, sondern pure Oberflächlichkeit: „Dem jungen Wählermilieu der Linken missfällt, dass Russlands Präsident mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd sitzt.“ So viel analytische Tiefe muss man erst einmal haben! Wer glaubt, dass junge Wähler*innen sich mit Klimagerechtigkeit, ökonomischer Transformation oder sozialer Gerechtigkeit befassen, liegt in De Masis Weltbild natürlich falsch – sie sind einfach TikTok-Konsumenten ohne geopolitischen Durchblick.
Doch seine Logik geht noch weiter: Die Linke wurde in den Medien künstlich aufgebaut, um das BSW zu verhindern. Dass die Partei sich digital geschickter aufgestellt hat? Dass sie moderne Kommunikationsstrategien nutzt? Pah, alles Teil der großen Strategie. So bastelt sich De Masi aus zufälligen Social-Media-Trends eine Medienverschwörung zusammen, die so durchsichtig ist wie die „Wahlbetrug!“-Rufe nach der US-Wahl 2020.
Denn das Muster ist bekannt: Wenn eine Partei verliert, kann es nur an dunklen Mächten liegen. Dass das BSW mit 4,972 Prozent knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist? Keine Spur von Selbstreflexion. Stattdessen betreibt De Masi eine Art mathematischen Alchemismus: Jede statistische Anomalie, jede fehlerhafte Zählung, jeder abweichende Wahlbezirk wird zum Beweis eines groß angelegten Komplotts. Zeilenverrutschungen, ungültige Stimmen, verschwundene Briefwahlunterlagen – es braucht nur genug Hypothesen, damit am Ende ein Wahlbetrug herauskommt.
Die Paranoia kennt keine Grenzen: Die Bundeswahlleiterin? Verwalterin der Manipulation. Die Linke? Eine korrumpierbare Helferin der Rüstungslobby. Die jungen Wähler? Unwissende Konsumenten algorithmischer Gehirnwäsche. Nur De Masi, der edle Streiter für Wahrheit und Gerechtigkeit, sieht die Realität klar – wie Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft, die er für Monster hält.
Doch die eigentliche Tragik liegt woanders: Eine ganze Seite der Berliner Zeitung wurde diesem Amalgam aus politischen Vorurteilen, Verschwörungsdenken und rechnerischer Selbsttäuschung eingeräumt. Als gäbe es nicht genug Desinformation, bekommt ein gescheiterter Politiker hier die Möglichkeit, sich als Opfer eines politischen Komplotts zu stilisieren – anstatt sich damit auseinanderzusetzen, warum das BSW die fehlenden 13.435 Stimmen nicht mobilisieren konnte.
Die Antwort darauf wäre einfach: Vielleicht ist das BSW doch nicht so unwiderstehlich, wie es seine Anhänger glauben. Vielleicht hat die Partei nicht genug Menschen überzeugt, dass Wagenknecht die Heilsbringerin der deutschen Politik ist. Vielleicht haben die Wähler keine Lust auf eine Partei, die zwischen marktradikalem Wirtschaftsprogramm und Putin-Versteherei schwankt, dabei aber behauptet, die einzige „echte“ Opposition zu sein. Vielleicht sind Wahlen doch kein riesiges Manipulationsszenario, sondern schlicht der Ausdruck politischer Mehrheiten.
Aber solche Gedanken würde De Masi nie zulassen. Denn es ist viel einfacher, sich als Opfer einer Medienstrategie zu inszenieren, als sich den Tatsachen zu stellen: Wer nicht fünf Prozent der Wähler überzeugt, zieht nicht in den Bundestag ein – so funktioniert Demokratie. Wer sich in Verschwörungsnarrative flüchtet, disqualifiziert sich am Ende nur selbst.
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