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Kapitalismus ohne Feigenblatt: Die Demütigung als Geschäftsmodell

kpeterl

TL;DR: Selenskyj dachte, er sei ein Verbündeter. Trump zeigte ihm, dass er nur eine Rechnung ist. Die USA helfen nicht, sie investieren – und wenn der Profit weg ist, wird abkassiert. Kapital dominiert, Völkerrecht verrottet.



 

Nun also das Lehrstück in Imperialismus 2.0, live und in HD: Wolodymyr Selenskyj, bis dato der glänzende Posterboy westlicher Werte, wird im Oval Office von Donald Trump wie ein unbezahlter Praktikant behandelt. Und während der ukrainische Präsident noch nach Worten sucht, um sich aus diesem peinlichen Moment herauszuwinden, hat Trump das Drehbuch längst umgeschrieben: Kein „Held der Demokratie“ mehr, sondern ein lästiger Bittsteller, dem man die Tür zeigt.

 

Die entsetzte Reaktion der westlichen Presse? Preisverdächtig. Ein Schock, heißt es, für die „regelbasierte Weltordnung“. Als hätte die je existiert. Als wären das internationale Recht, das Völkerrecht oder gar „Bündnistreue“ jemals etwas anderes gewesen als taktische Spielsteine für jene, die sich die Regeln leisten konnten. Überraschung: Wer zahlt, bestimmt. Wer nicht zahlt, darf sich auf öffentlicher Bühne vorführen lassen.

 

 

Imperialismus in Echtzeit

 

Trumps Auftritt war kein Fauxpas, kein unüberlegter Twitter-Moment, sondern die Geschäftslogik des Spätkapitalismus in ihrer reinsten Form: Die Ukraine, bislang ein nützlicher Frontstaat gegen Russland, hat ihren ökonomischen Wert im amerikanischen Bilanzbuch überschritten. Und was passiert in der freien Marktwirtschaft mit unrentablen Investments? Sie werden liquidiert.

 

Das eigentliche Skandalöse an diesem Auftritt war nicht Trumps unverblümte Sprache, sondern die völlige Offensichtlichkeit, mit der er das Geschäft enthüllte: Die USA hatten Selenskyj nicht unterstützt, weil sie an Demokratie glauben, sondern weil sich daran verdienen ließ. Jetzt, da der Profit nicht mehr gesichert ist, gibt es eine neue Strategie – und für die Ukraine eine neue Rolle: Zahlmeister.

 

Wie üblich lügt der amerikanische Präsident schamlos, um seine Ziele zu erreichen, und erwähnt die 350 Milliarden Dollar, die die Vereinigten Staaten der Ukraine über drei Jahre hinweg gezahlt haben – ein phantasievoller Betrag, den Wolodymyr Selenskyj am Freitag erneut nicht bestätigen konnte. Diese 300 Milliarden Dollar, sagt Trump, soll Kiew zurückzahlen, um weiterhin amerikanische Waffen und Wirtschaftshilfe zu erhalten. Eine Und als wäre das nicht dreist genug, sollen die USA außerdem direkten Zugriff auf Seltene Erden und andere Rohstoffe der Ukraine bekommen. Alles natürlich verpackt in einen hübschen „Investitionsfonds“. Oder in anderen Worten: eine koloniale Tributeintreibung mit freundlichem Lächeln.

 

Multipolare Welt – mit Monopol auf Gewalt

 

Die Ukraine-Demütigung ist dabei nur ein Kapitel in Trumps größerem Plan: die imperiale Reorganisation der Welt nach den Gesetzmäßigkeiten des Marktes. Multipolarität? Nur insoweit, als sie es erlaubt, Konkurrenten gegeneinander auszuspielen. Multilateralismus? Ein Hindernis für freie Marktzugänge. China? Der wahre Gegner, den es mit allen Mitteln zu schwächen gilt – sei es durch eine Annäherung an Putin oder durch das gezielte Fallenlassen unprofitabler Alliierter.

 

Der eigentliche Witz an der Geschichte ist, dass Washington längst in die imperiale Sackgasse geraten ist: Die USA sind zu schwach, um eine unipolare Ordnung aufrechtzuerhalten, aber zu mächtig, um in einem echten multipolaren System zu koexistieren. Das Ergebnis? Eine chaotische Mischung aus Erpressung, Drohungen und nackter Gewalt, in der „Bündnisse“ nur noch so lange halten, wie sie sich wirtschaftlich lohnen.

 

Trumps „Unilateralismus“ ist also keine spontane Laune, sondern die logische Konsequenz des US-Kapitalismus im Stadium seiner globalen Überdehnung. Wer noch immer glaubt, dass Amerika seine Verbündeten aus „moralischer Verantwortung“ schützt, sollte sich vielleicht an die letzten Jahrzehnte erinnern: Vietnam, Chile, Irak – oder eben die Ukraine.

 

Und die europäische Linke? Sie schreibt fleißig Resolutionen gegen den Militarismus, während die Realität über sie hinwegrollt. Noch immer klammert sie sich an die Vorstellung, dass Russland in diesem Konflikt nur eine „reaktive“ Kraft sei, dass China eine Art „progressiver Antipol“ zu den USA bilde und dass Frieden eine Frage diplomatischer Appelle sei.

 

Selenskyjs Lehrstunde in imperialer Machtpolitik wird für sie keine Konsequenzen haben. Sie wird weiter über „multipolare Ordnungen“ sinnieren, als ginge es um das neue Design eines Konferenzraums. Dass der Kampf um globale Macht in erster Linie eine Frage von Kapitalinteressen ist – und nicht von moralischen Bekenntnissen –, wird weiterhin ignoriert.


Fazit? Das Imperium funktioniert genauso, wie es soll. Es gibt keine „Werte“, nur Preise. Wer nicht zahlen kann, wird vorgeführt. Wer im falschen Moment um Hilfe bittet, wird zur abschreckenden Lektion für alle anderen. Und wer noch immer an die „regelbasierte Ordnung“ glaubt, kann sich jetzt im Oval Office anschauen, wie sie in Echtzeit zerlegt wird.


 
 
 

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