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Luigi Mangione wird zur Projektionsfläche für verkürzte Kapitalismuskritik

TL;DR: Fabian Lehr feiert, wie viele andere Linke, Luigi Mangiones Tat als Aufblitzen von Klassenbewusstsein – und verkennt in seinem Beitrag "San Luigi Mangione - Held unserer Klasse?", dass Gewalt gegen Einzelne kein Kapitalismusproblem löst. Verkürzte Kritik und Heldennarrative helfen nicht, systemische Missstände anzugehen.



In New York wird der Geschäftsführer des Versicherungskonzerns UnitedHealthcare mutmaßlich von Luigi Mangione getötet, der seit seiner Verhaftung in den sozialen Medien frenetisch als Rächer eines korrupten Gesundheitssystems gefeiert wird. Mitglieder der Partei Die Linke gehen sogar so weit, ihre Twitter-Namen mit dem Slogan „#FreeLuigiMangione“ zu versehen. Die Interventionistische Linke Düsseldorf teilt sein Manifest „Das Gesundheitswesen und seine Opfer“ als sei es ein wichtiges Dokument, das durch seine Tat veredelt wurde.


Fabian Lehr nimmt den Hype um Luigi Mangione innerhalb der gesellschaftlichen Linken zum Anlass, einen Vortrag auf Video aufzunehmen, den er mit „San Luigi – Held unserer Klasse?“ betitelt. In diesem Video, das er auf YouTube veröffentlicht, schreibt er: „Luigi Mangione hat mit seiner Tat ein Aufblitzen von Klassenbewusstsein, ja Hoffnung auf die Möglichkeit einer besseren Welt unter nicht nur US-amerikanischen ArbeiterInnen und Armen weit über die Linke hinaus bewirkt.“


Fabian Lehr, ein selbsternannter Ex-Trotzkist, hat sich in der politischen Nische der autoritären Linken etabliert. Als Blogger und YouTuber erreicht er ein Publikum, das nach klaren Feindbildern und einfachen Antworten sucht. Seine Vorträge, etwa bei der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), zeigen eine deutliche Nähe zu dogmatischen Denkweisen, auch wenn Lehr sich gern als Kritiker eben jener Traditionen inszeniert. Doch was steckt hinter seiner Rhetorik, und welche Wirkung haben seine Worte?


Lehrs verkürzte Kapitalismuskritik


Lehrs Vortrag „San Luigi – Held unserer Klasse?“ ist ein Paradebeispiel für seine Stilmittel und Schwächen. Er stilisiert die Tat von Luigi Mangione, der einen CEO der Krankenversicherungsbranche ermordete, als Moment des aufblitzenden Klassenbewusstseins. Dabei konstruiert er ein Narrativ, das zwischen romantisierter Gewalt und einem moralischen Dualismus schwankt: Hier die „bösen Kapitalistinnen“, dort die „guten Arbeiterinnen“. Doch genau hier liegt das Problem.


Verkürzte Kritik mit gefährlichen Implikationen


Lehrs Analyse reduziert die strukturellen Zwänge des Kapitalismus auf die moralische Verdorbenheit einzelner Akteure wie Brian Thompson, dem ermordeten CEO. Dabei bleibt unerwähnt, dass auch Kapitalist*innen in einem System agieren, das sie selbst zu bestimmten Handlungen zwingt. Diese Verkürzung, die die komplexen Dynamiken des Kapitalismus auf personalisierte Schuldzuweisungen reduziert, lenkt von den eigentlichen Ursachen ab und reproduziert gefährliche Denkmuster.

Wie Kritiker*innen wie Moishe Postone beschreiben, weist eine solche Kapitalismuskritik Parallelen zu strukturellem Antisemitismus auf. Die Fokussierung auf einzelne „Schuldige“ und die moralische Dichotomie zwischen Gut und Böse können leicht in eine Ideologie umschlagen, die abstrakte Herrschaftsverhältnisse personalisiert und simplifiziert. Lehrs Vortrag bleibt zwar frei von explizit antisemitischen Codes, bedient aber ähnliche Mechanismen, die gefährlich anschlussfähig sind.


Die Romantisierung des Individualterrors


Lehrs Darstellung von Mangiones Tat schwankt zwischen Kritik und Verherrlichung. Zwar erkennt er die Grenzen des Individualterrors an, beschreibt die Tat jedoch gleichzeitig als Moment der Hoffnung und als symbolischen Widerstand. Diese Ambivalenz romantisiert nicht nur Mangione, sondern vermittelt auch den falschen Eindruck, dass individuelle Gewalt eine Form von Widerstand sein könnte.

Dabei übersieht Lehr die Konsequenzen solcher Taten. Einzelne Anschläge destabilisieren das kapitalistische System nicht – sie führen lediglich zu schärferer Repression, wie er selbst anmerkt. Dennoch bleibt er in der Darstellung von Mangione als tragischem Helden stecken, ohne eine konstruktive Alternative zu bieten.


Autoritäre Nähe statt emanzipatorischer Perspektive


Lehrs Nähe zu Organisationen wie der SDAJ unterstreicht seinen Hang zu autoritären Strömungen. Seine Analysen bieten keine umfassende Kritik am Kapitalismus, sondern bleiben in einer moralischen und personalisierenden Perspektive gefangen. Statt systemischer Veränderung propagiert er eine Form von Empörung, die das Publikum emotional anspricht, aber keine langfristigen Lösungsansätze bietet.


Verpasste Chancen


Fabian Lehr mag mit seinen Vorträgen und Beiträgen die Frustration über kapitalistische Ungerechtigkeiten artikulieren, doch er scheitert daran, eine fundierte, systematische Kritik zu entwickeln. Seine Verkürzungen und Personalisierungen lenken von den eigentlichen Ursachen ab und bieten keine Perspektive für eine emanzipatorische Alternative. Stattdessen reproduziert er Denkstrukturen, die gefährlich anschlussfähig an autoritäre Ideologien sind.

Die Linke braucht keine simplifizierten Feindbilder oder romantisierten Narrative, sondern eine tiefgreifende Analyse und kollektive Organisation. Lehrs Rhetorik mag emotional wirken, bleibt aber politisch wirkungslos – und letztlich eine Sackgasse für jede ernsthafte Kapitalismuskritik.


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