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Nationale Eintracht der Geschichtsfälscher*innen

  • kpeterl
  • 22. März
  • 3 Min. Lesezeit

TL;DR: Wenn Linke wie Demirel und AfDler wie Urban gemeinsam „Kriegskredite“ skandieren, ist das keine Querfront, sondern nationale Eintracht der Geschichtsfälscher*innen – die Putins Angriffskrieg mit westlicher Verteidigung gleichsetzen. Bewusst. Interessengetrieben.




Wer heute „Kriegskredite“ ruft, meint nicht den Haushalt, sondern den Affekt – und zwar einen, der weniger mit historischer Erinnerung zu tun hat als mit ideologischer Nostalgie. Wenn Özlem Alev Demirel, DKP, BSW und Junge Welt im Gleichklang mit Jörg Urban und der Brandenburger AfD gegen die „Aufrüstung“ anstimmen, dann ist das keine Querfront – das ist nationale Eintracht. Linke Pathosrhetorik trifft auf rechte Weltangst, gemeinsam vereint im Kampf gegen einen Westen, den sie beide für das eigentliche Problem halten.

 

Die verbale Gleichschaltung reicht vom Linksaußen-Kommentar bis zum Völkisch-Sofa: Nicht Russland sei der Aggressor – so die Erzählung –, sondern das demokratische Europa, die Ukraine die es wagt, sich zu verteidigen. Nicht der Einmarsch in die Ukraine war ein Tabubruch, sondern die Bereitschaft, ihn nicht durchgehen zu lassen. Nicht die Panzer und Soldaten in Mariupol & Donezk, sondern die Budgetdebatten im Bundestag seien das wahre Problem. Und plötzlich klingt die Junge Welt wie der sächsische Landtag – nur mit Marx im Regal statt Meißner Porzellan.

 

Wenn Demirel und Urban im selben Atemzug „Kriegskredite“ raunen, sind keine historischen Analogien mehr zu retten. Denn was da als Kritik daherkommt, ist kein Einspruch gegen Eskalation – sondern semantische Scheinheiligkeit. 2025 ist nicht 1914, außer in den Köpfen jener, die der Uschanka denken und mit „Frieden“ Kapitulation meinen. Dass die NATO nicht in Moskau einmarschiert ist, sondern Russland in Mariupol – geschenkt. Dass Demokratie ohne Wehrhaftigkeit nur eine Einladung ist – ignoriert. Dass Abschreckung kein Krieg ist, sondern seine Vermeidung – verkehrt ins Gegenteil.

 

Der semantische Trick ist alt: Wer sich verteidigt, provoziert. Wer abschreckt, will Krieg. Wer sich für Kiew ausspricht, verlängert das Leid. Und wer „Nie wieder“ sagt, meint „Nie wieder Wiederstand“. Die politische Sprache hat dabei längst den Boden verloren – sie schwebt über der Realität wie ein Heiligenschein aus Phrasen. Wagenknechts „Angriffsfähigkeit“ ist da kein Ausrutscher, sondern Programm: Die Tatsachen werden systematisch verkehrt, bis der Westen zum Täter und Russland zum getriebenen Opfer geworden ist.

 

Die Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben (oberhalb von 1% des BIP) ist kein Kriegstreiberei – es ist das Eingeständnis, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Doch wer das mit 1914 vergleicht, will nicht aufklären, sondern entlasten: Russland, sich selbst, das eigene politische Nichtstun. Geschichte wird zur moralischen Miene, auf der man tanzt, bis sie explodiert – und keiner fragt mehr, wer den Sprengsatz gelegt hat.

 

Und ja, Europas neue Verteidigungspolitik riecht nach Kompromiss, Bürokratie und Selbstüberhöhung – zu teuer, zu spät, zu diffus. Aber sie ist kein wilhelminisches Wiederaufbäumen. Sie ist ein Reagieren – ob angemessen oder nicht, sei dahingestellt. Was sie jedenfalls nicht ist: eine imperialistische Inszenierung aus dem Geiste der Vergangenheit. Die Behauptung des Gegenteils ist keine Kritik – sie ist Geschichtsverdrängung im Kostüm des Gewissens.

 

Was bleibt, ist ein politisch-musikalisches Crossover: Wenn Rechte und Linke gemeinsam „Nie wieder Krieg“ rufen, aber meinen: „Nie wieder Verantwortung“, dann läuft das Album deutscher Vergangenheitsbewältigung rückwärts. Und das Lied, das erklingt, ist kein Friedenslied. Es ist ein Schlaflied.

 

In diesem Sinne: Wer heute „Kriegskredite“ schreit, sollte sich fragen, ob er nicht längst im Chor jener singt, die auch damals den Frieden meinten – und die Vernichtung duldeten.

 

Geschichte ist kein moralischer Sparautomat. Man kann sie nicht mit Empörung füttern und moralisches Kapital entnehmen.

Willkommen in der Realität – auch wenn sie keine Plakate mag. Und schon gar keine Flöten.

 
 
 

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