TL;DR: Die Linke kann stärkste Kraft links der Mitte werden – wenn sie mehr bietet als kluge Kampagnen. Antifaschismus ohne Kapitalismuskritik bleibt Symbolpolitik, Klimaschutz ohne Eigentumsfrage ein grüner Kompromiss und „Antiimperialismus“ darf kein Antiwesten-Reflex sein.

Ein Kommentar zu Thomas Goes‘ „Die Linke nach der Wahl aufbauen!“
Es gibt Texte, die so viel strategisches Denken enthalten, dass man kurz hoffen könnte, die Linke hätte aus ihrer Geschichte gelernt. Thomas Goes’ „Die Linke nach der Wahl aufbauen!“ ist so ein Text. Endlich mal kein moralisches Wehklagen oder das übliche linke Jammertheater über die „ungerechte Medienlandschaft“, sondern eine durchdachte Wahlanalyse, die zeigt, warum Die Linke sich mit klugen Kampagnenstrategien, einer gezielten sozialen Polarisierung und einer antifaschistischen Klassenpolitik wieder ins Spiel gebracht hat.
Die These ist einfach: Die Linke kann die dominierende Kraft links der Mitte werden – wenn sie ihren aktuellen Kurs konsequent weiterführt. Und Goes beschreibt detailliert, warum das möglich wäre. Wäre, wohlgemerkt. Denn so durchdacht der Text ist, so vorsichtig bleibt er in entscheidenden Punkten.
Antifaschismus ohne Systemkritik bleibt Symbolpolitik
Goes hebt die antifaschistische Orientierung der Linken als zentralen Erfolgsfaktor hervor. Völlig zurecht. Während Grüne und SPD sich mal wieder damit beschäftigten, wie man die AfD „demaskiert“, indem man sie in Talkshows einlädt und brav um Zustimmung wirbt, hat Die Linke verstanden, dass man Faschismus nicht durch Betroffenheitsrhetorik bekämpft, sondern durch klare soziale Positionierung.
Aber hier beginnt auch das Problem. Wer Faschismus nur als den „Rechtsruck“ der anderen Parteien beschreibt, verkennt die strukturellen Wurzeln der Sache. Goes analysiert treffsicher, wie SPD und Grüne mit ihrem Sozialabbau die AfD erst ermöglicht haben, aber das reicht nicht. Die AfD ist keine Fehlfunktion der bürgerlichen Demokratie – sie ist ihre logische Konsequenz.
Faschismus braucht nicht nur Wähler*innen, sondern auch eine ökonomische Basis: Unternehmen, die sich über billige Arbeitskräfte freuen, Medien, die Angst als Geschäftsmodell betreiben, und einen Staatsapparat, der in Polizei, Justiz und Bürokratie seit Jahrzehnten rechte Netzwerke duldet, schützt oder gar fördert. Eine antifaschistische Klassenpolitik, die nicht zugleich eine radikale Kapitalismuskritik ist, bleibt Symbolpolitik.
Ökologie als Klassenfrage – oder als moralischer Ablasshandel?
Goes stellt eine „soziale Klimapolitik“ ins Zentrum seiner Strategie. Klingt gut. Aber wenn eine soziale Klimapolitik nicht über „die Reichen sollen zahlen“ hinauskommt, wird sie genau da landen, wo sich die Grünen vor zwanzig Jahren verloren haben: Im moralischen Gestus der besseren Lebensführung.
Die Klimakrise ist kein Verteilungsproblem, sondern eine Folge kapitalistischer Produktionsweise. Wer nur fordert, dass Unternehmen klimafreundlicher produzieren sollen, hat den Kern des Problems nicht verstanden. Eine konsequente ökologische Klassenpolitik müsste heißen: Vergesellschaftung der Energiekonzerne, massive Arbeitszeitverkürzung, ein Ende der Wachstumswirtschaft. Davon ist in Goes’ Analyse wenig zu lesen. Stattdessen droht die Linke in den alten Fehler zu verfallen, Klimaschutz als Ergänzung zur sozialen Frage zu behandeln – anstatt als deren logische Konsequenz.
Imperialismus? Ja. Aber bitte nicht mit Aluhut.
Goes erkennt, dass Die Linke in Sachen Außenpolitik „eine Schwäche hat“. Das ist höflich formuliert. In Wahrheit hat die Partei in dieser Frage so viel Profil wie eine ausgewaschene Jeans. Und das liegt nicht nur an Uneinigkeit oder fehlender Strategie – sondern auch an einem tiefsitzenden Problem des linken Denkens über Imperialismus.
Seit Jahren verwechseln zu viele Linke „Antiimperialismus“ mit einem primitiven Antiwesten-Reflex, in dem alle internationalen Entwicklungen wahlweise als Machenschaften der USA, der NATO oder Israels interpretiert werden. Wer den weltpolitischen Nachrichtenstrom durch das linke Filter der „kritischen Geopolitik“ liest, landet schnell in einer Verschwörungswelt, in der hinter jedem Konflikt ein perfider geostrategischer Geheimplan steckt – wahlweise gesteuert aus Washington, Tel Aviv oder Brüssel, stets mit der Komplizenschaft deutscher Medien, die natürlich nur existieren, um diese perfiden Pläne zu vertuschen.
Dass auch Russland und China imperialistische Akteure sind – geschenkt. Wer diese Einsicht wagt, wird sofort als „NATO-Propagandist“ abgestempelt. Dabei wäre es genau das, was eine zeitgemäße linke Außenpolitik leisten müsste: eine radikale Ablehnung sowohl des westlichen als auch des östlichen Imperialismus. Eine konsequente Antiimperialismus-Strategie müsste lauten: Weder mit den USA, noch mit Putin. Weder mit China, noch mit der NATO.
Stattdessen spielt ein nicht unerheblicher Teil der Linken lieber mit antiwestlichen Ressentiments oder gleich offenem Antizionismus. Das Ergebnis? Eine Außenpolitik, die sich entweder in hilflosen Friedensappellen erschöpft oder in der stumpfen Wiederholung russischer oder chinesischer Narrative endet.
Goes’ Beitrag ist eine der durchdachtesten Analysen zur aktuellen Lage der Linken. Er zeigt auf, was richtig gelaufen ist – und wo die Partei weiter ansetzen muss. Aber wenn Die Linke tatsächlich stärkste Kraft links der Mitte werden will, muss sie über Wahlkampfstrategien hinausdenken.
Antifaschismus ohne Kapitalismuskritik bleibt ein moralisches Projekt. Klimapolitik ohne radikale Eigentumskritik landet zwangsläufig in grünen Kompromissen. Und Außenpolitik ohne klare Distanz zu allen imperialistischen Akteuren bleibt genau das, was sie heute ist: eine Mischung aus Blauäugigkeit und Paranoia.
Goes schließt seinen Text mit den Worten: „Die Zukunft ist offen. Und vielleicht ist sie rot.“ Vielleicht. Aber nur, wenn die Linke sich traut, mehr zu sein als eine gut organisierte Protestpartei. Sie muss nicht nur den politischen Gegner, sondern auch ihre eigenen Denkfehler überwinden. Denn sonst bleibt sie, bei allem taktischen Geschick, doch nur eine linke SPD. Und das hat nun wirklich niemand verdient.
Der Beitrag von Thomas Goes „Die Linke nach der Wahl aufbauen!“
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