TL;DR: Die Linke Neukölln ignoriert das Problem der Verharmlosung und Relativierung von Antisemitismus in den eigenen Reihen und verurteilt stattdessen angebliche „Hetzkampagnen“ gegen die Partei. Durch diese Selbstinszenierung als Opfer wird der reale Antisemitismus verharmlost. Der Beschluss verdeutlicht eine Partei, die sich lieber in „Geschlossenheit“ flüchtet, als die Gefahr von Antisemitismus ernsthaft zu adressieren.
Man muss schon staunen: Kaum ist der Bundesparteitag in Halle zu Ende, feiert die Neuköllner Linke ihre eigene Art von „solidarischer Parteikultur“. Doch anstatt das Problem der Relativierung und Verharmlosung von Antisemitismus ernsthaft anzugehen, keilt die Linke Neukölln lieber gegen jene, die genau darauf hinweisen. Der Bezirksvorstand verkündet stolz, dass die Linke „keinen Platz für Antisemitismus“ habe. Klingt gut, oder? Nur stellt sich hier die Frage, wer sich das einreden lassen soll – wenn jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema sofort als „Hetzkampagne der bürgerlichen Presse“ abgetan wird.
Dass die Relativierung und Verharmlosung von Antisemitismus innerhalb der Linken inzwischen auf eine Weise betrieben wird, die man bestenfalls als skandalös bezeichnen kann, macht der Beschluss des Bezirksvorstands Neukölln mehr als deutlich. Da wird nicht etwa gefragt, ob die Vorwürfe eine Grundlage haben könnten, ob ein ehrlicher Blick nach innen notwendig wäre. Nein, stattdessen steht die Partei geschlossen an der Seite der Genoss*innen, die Opfer einer angeblichen „Kampagne“ geworden sind – die Kritik gegen sich selbst als niederträchtige „Hetze“ verurteilt. Dass dabei das eigentliche Problem, nämlich der Antisemitismus, völlig ignoriert wird, scheint niemanden zu stören.
Antisemitismus? Nicht bei uns! Die moralische Überlegenheit der Linken Neukölln
Man könnte fast lachen, wäre es nicht so traurig. Die Linke Neukölln erklärt Antisemitismus inklusive seiner Relativierung und Verharmlosung kurzerhand zu einem Phänomen, das nur außerhalb der eigenen linken Kreise existiert. So wird ein Antrag auf dem Landesparteitag, der doch tatsächlich von „jedem Antisemitismus“ sprach, als überzogen abgelehnt. Ein kleines Wort mit großer Wirkung – denn „jeden“ Antisemitismus will man offenbar doch nicht bekämpfen. Warum? Weil für die Genoss*innen in Neukölln Antisemitismus ein Problem der Rechten ist, bestenfalls noch der „bürgerlichen Presse“. Die Vorstellung, dass Antisemitismus bzw. seine Relativierung und Verharmlosung auch in den eigenen Reihen existieren könnte, wird konsequent verdrängt. Mit einer atemberaubenden Selbstgerechtigkeit erklärt man sich selbst für unantastbar und frei von Schuld. Das nennt man wohl moralische Überlegenheit – oder eher: Selbstgerechtigkeit bis zur Lächerlichkeit.
Die Opferrolle – wenn die Wahrheit zur Verschwörung erklärt wird
Natürlich ist man in Neukölln nicht schuld, natürlich sind es immer die anderen. So sieht man in jeder Kritik gegen die Partei sofort eine „Verschwörung“. Das Problem ist nicht etwa die Haltung der eigenen Mitglieder zu Antisemitismus bzw. seiner Relativierung und Verharmlosung, nein – das Problem ist die Berichterstattung, die das Thema überhaupt anspricht. Denn aus Sicht des Bezirksvorstands ist Antisemitismus in der Linken Neukölln ein Hirngespinst der „bürgerlichen Presse“. Man könnte fast meinen, die Neuköllner Linke sei das Opfer einer großangelegten Verschwörung, einer medialen Intrige, die einzig dazu dient, die moralische Integrität der Partei zu untergraben.
Das Verrückte ist: Diese Inszenierung als Opfer einer Hetzkampagne dient einzig dazu, den eigenen Antisemitismus bzw. seine Relativierung und Verharmlosung zu verschleiern. So erklärt man den Feind ganz einfach zum Täter, während man sich selbst als Märtyrer darstellt. Kein Wort dazu, dass in Teilen der Partei das Massaker der Hamas verharmlost und gefeiert wurde. Kein Wort dazu, dass jüdische Menschen in Deutschland und weltweit im Zeichen dieses Hasses bedroht sind. Kein Wort zum realen Antisemitismus – denn die wahre Bedrohung, so die Logik der Linken Neukölln, sind ja die Berichte der Presse.
Die „solidarische Parteikultur“: Wegsehen als Prinzip
Wenn man den Beschluss der Linken Neukölln liest, wird schnell klar: Solidarisch ist man in dieser Partei nur miteinander – und das auf Kosten der Realität. So behauptet man, man wolle den „konstruktiven Prozess fortsetzen“, um die Einheit zu wahren. Doch Einheit wozu? Die Neuköllner Linke ist der Meinung, dass Kritik an der Partei von innen und außen als Angriff zu verstehen ist und deshalb nicht geduldet werden darf. Lieber hält man sich an „Geschlossenheit“ fest, während man die Wahrheit über Antisemitismus in den eigenen Reihen unterdrückt.
Es ist bemerkenswert, dass der Bezirksvorstand es fertigbringt, selbst die IHRA-Definition von Antisemitismus als „instrumentalisierend“ abzulehnen. Da muss man sich fragen: Wovor hat die Linke Neukölln Angst? Wenn man selbst nicht antisemitisch ist, müsste man ja keine Angst vor Definitionen haben, oder? Die Antwort ist klar: Die Partei hat Angst, sich der eigenen Realität zu stellen, Angst, dass man die eigenen Heucheleien ans Licht bringt.
Eine Partei ohne Prinzipien – Hauptsache, die Fassade bleibt heil
Der Beschluss der Linken Neukölln zeigt, wohin die Partei inzwischen abgedriftet ist: Anstatt sich ehrlich mit den Problemen auseinanderzusetzen, versteckt man sich hinter einer Fassade der Geschlossenheit. Für die Neuköllner Linke gibt es Antisemitismus nur bei anderen, nie bei sich selbst. Und während Henriette Quade und andere konsequente Stimmen die Partei verlassen, bleiben jene zurück, die sich hinter der selbstgezimmerten Mauer aus moralischer Überlegenheit verstecken.
In einer Partei, die derart mit Scheuklappen durchs Leben geht, ist kein Platz für Ehrlichkeit. Eine „solidarische Parteikultur“, die auf Ignoranz aufbaut, ist nicht solidarisch, sie ist ein Zerrbild dessen, was die Linke einmal sein wollte.
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