TL;DR:Janine Wissler hat als Bundestagsabgeordnete und damit als Teil eines Verfassungsorgans Tweets abgesetzt, die den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu im Kontext eines internationalen Haftbefehls implizit vorverurteilen und der Bundesregierung Mitverantwortung für Kriegsverbrechen zuschreiben. Dabei ignoriert sie die Unschuldsvermutung, ein zentrales Prinzip des Rechtsstaats, und verknüpft ihre politische Forderung nach einem Waffenembargo mit rhetorischen Schuldzuweisungen. Gerade als Vertreterin des Bundestags trägt sie jedoch eine besondere Verantwortung, die rechtsstaatlichen Prinzipien in ihrer Argumentation zu wahren. Ihre Aussagen gefährden nicht nur die Glaubwürdigkeit des Bundestags, sondern schwächen auch den politischen Diskurs, der auf rechtsstaatlichen Grundsätzen basieren sollte.
Die Unschuldsvermutung, so heißt es, sei eine der großen Errungenschaften des Rechtsstaats. Doch wie alles, was kompliziert und nicht auf einen Blick X-tauglich ist, hat sie einen schweren Stand in unserer hektischen Welt. Besonders bei Janine Wissler, Bundestagsabgeordnete der Linken, scheint die Unschuldsvermutung nicht ganz oben auf der Prioritätenliste zu stehen. Schließlich lässt sich aus ihr keine knackige Forderung stricken, die auf Twitter und in der Partei Die LINKE für Aufmerksamkeit sorgt.
Dabei hat Wissler nicht als Privatperson getwittert, sondern als Mitglied des Deutschen Bundestags der Partei Die LINKE. Sie spricht nicht nur für sich, sondern als Teil eines Verfassungsorgans, das den Rechtsstaat repräsentiert und verteidigen soll. Ihre Worte tragen also ein besonderes Gewicht, das über die üblichen Schnellschüsse des politischen Alltags hinausgeht. Gerade deswegen wiegt es umso schwerer, dass sie in ihren Tweets eine rhetorische Abkürzung nimmt, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien nur schwer vereinbar ist.
Wissler nahm den internationalen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu, den zurecht umstrittenen Regierungschef Israels, zum Anlass, gleich die gesamte deutsche Außenpolitik infrage zu stellen. „Die Haftbefehle sind ein wichtiges Zeichen, dass Kriegsverbrechen nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die Bundesregierung muss endlich ihren Kurs ändern und Waffenlieferungen nach #Israel sofort einstellen. Sonst macht sie sich mitschuldig an Kriegsverbrechen.“ Ein Tweet, der sitzt. Allerdings nicht da, wo er sollte – nämlich im rechtlichen Rahmen eines demokratischen Rechtsstaats.
Wissler überspringt in ihrer Argumentation die Unschuldsvermutung mit der Eleganz eines Elefanten im Porzellanladen. Dass ein Haftbefehl keinen Schuldspruch bedeutet, scheint sie nicht zu interessieren. Warum auch? Für die politische Empörung genügt der Verdacht. Dem Juden und Israeli Netanjahu werden Kriegsverbrechen vorgeworfen, und damit ist der Fall für Wissler klar. Ermittlungen? Verfahren? Urteil? Alles unnötig. Wer Wissler liest, hat das Gefühl, dass zwischen Anklage und Verurteilung nur ein politischer Tweet liegt.
Dabei muss man fair bleiben: Wissler fordert keine juristische Verurteilung Netanjahus, sondern ein Waffenembargo gegen Israel. Aber auch hier zeigt sich ihre rhetorische Waghalsigkeit. Sie schreibt: „Die Bundesregierung macht sich mitschuldig an Kriegsverbrechen.“ Der Konjunktiv fehlt, die Schuldzuweisung steht. In Wisslers Welt genügt der bloße Verdacht gegen den Juden und Israeli Netanjahu, um Deutschland zur Mittäterin zu erklären. Die feine Linie zwischen Verdachtsmoment und Schuldvermutung wird bei ihr zur rhetorischen Rampe, auf der sie in Richtung moralischer Überlegenheit abhebt.
Besonders irritierend ist dabei, dass Wissler als Mitglied des Bundestags, eines der zentralen Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland, Twittert. Ein Verfassungsorgan, das in besonderem Maße dem Schutz der rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet ist. Wenn Wissler ihre Forderung nach einem Waffenembargo mit Schuldzuweisungen auf Grundlage eines bloßen Verdachts untermauert, unterminiert sie nicht nur das Prinzip der Unschuldsvermutung, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Bundestags als Hort rechtsstaatlicher Integrität.
Man mag über deutsche Waffenlieferungen nach Israel streiten. Man mag sie ablehnen. Aber wer dabei den Rechtsstaat als Fundament seiner Argumentation aufgeben will, legt die Axt an die Wurzel dessen, wofür dieser steht. Wissler scheint das egal zu sein. Hauptsache, der Tweet macht Eindruck. Dass er nebenbei die Unschuldsvermutung mit Füßen tritt, ist ein Kollateralschaden, den das Mitglied des Deutschen Bundestags der Partei Die LINKE offenbar gerne in Kauf nimmt.
Doch genau hier liegt das Problem: Wissler will auf der moralischen Bühne stehen, doch ihre Argumentation untergräbt die Prinzipien, die sie vorgibt zu verteidigen. Die Unschuldsvermutung ist kein Detail, das man für den politischen Kampf über Bord werfen kann. Sie ist der Kern eines jeden Rechtsstaats. Und wer als Teil eines Verfassungsorgans spricht, trägt eine besondere Verantwortung, diese Prinzipien zu wahren.
Vielleicht sollte Janine Wissler in Zukunft weniger twittern und mehr Grundgesetz lesen. Es würde ihren Forderungen nicht schaden. Und dem politischen Diskurs erst recht nicht.
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