TL;DR: 1959 schockierten Hakenkreuze an der Kölner Synagoge. 2024? Antisemitismus ist subtiler, aber allgegenwärtig. Beton schützt, wo Begegnung sein sollte. Symbolpolitik ersetzt Empörung. Die Vergangenheit? Nie vergangen.
Heiligabend 1959: Ein Hakenkreuz auf der Kölner Synagoge schockiert eine Nation, die sich gerne als „entnazifiziert“ darstellt, ohne jemals aufzuräumen. Die Empörung ist groß, zumindest nach außen. Innen herrscht Schweigen, unterbrochen nur von den sanft schnarrenden Stimmen der Täter, die längst wieder Anzüge tragen und in Amtsstuben sitzen. Heinrich Böll nennt es „Zeichen an der Wand“, doch es sind mehr als Zeichen: Es ist der Aufschrei einer Gesellschaft, die ihre braune Vergangenheit nicht loswerden will, weil sie damit zu viel von sich selbst verlieren würde.
Die antisemitische Welle: Ein Spiegel der Kontinuität
Die Hakenkreuze von Köln waren keine Ausnahme, sondern der Auftakt. Überall in der Republik wurden Synagogen, jüdische Friedhöfe und Einrichtungen mit „Juden raus“ beschmiert. Wer das für eine jugendliche Dummheit hielt, übersah die Handschrift des „Bundes Nationaler Studenten“ und der „Nationaljugend Deutschlands“. Es waren keine „Flegel“, sondern Ideologen, die von einer Gesellschaft ermutigt wurden, die 1959 zu 20 Prozent meinte, Juden hätten „in Deutschland nichts zu suchen“. Und während Heinz Galinski, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, die Verharmlosung dieser Taten als gefährlich anprangerte, sprach Konrad Adenauer von „Lümmeln“, die man am besten „verprügelt“. Hier ein bisschen Prügel für die Täter, dort ein großer Verdacht gegen die DDR – und das Problem war gelöst. Zumindest für die Deutschen, die keine Juden waren, nicht jedoch für die Westdeutschen Jüdischen Menschen.
Internationale Empörung, deutsche Abwehr
In London gingen 20.000 Kriegsveteranen auf die Straße, in New York tobte eine Menge vor dem Generalkonsulat. Die Welt schaute nach Deutschland und sah, was die Deutschen nicht sehen wollten: dass der Nazismus nicht tot war, sondern nur in die nächste Generation übergegangen war. Adenauer beeilte sich, in einer Rundfunkansprache die Gemüter zu beruhigen – allerdings nicht die jüdischen in Deutschland, sondern die ausländischen. Für das Ausland war es ein bedauerlicher Vorfall, für die Innenpolitik ein Werkzeug zur Delegitimierung der DDR. Deutsche Empörung? Eher ein kalkulierter Reflex: Nicht, weil man Jüdische Menschen beschützen wollte, sondern weil man nicht schon wieder schlecht dastehen wollte.
Die wenigen Stimmen der Klarheit
Heinz Galinski sprach von einer „Kette unliebsamer Ereignisse“, die stets verharmlost würden, von einer Gesellschaft, die lieber ihre NS-Täter rehabilitierte, als Konsequenzen zu ziehen. Heinrich Böll sah es ähnlich: „Hakenkreuze wecken jene Vergangenheit, die noch nicht vergangen ist.“ Der Nazismus war nie verschwunden; er hatte nur die Form gewechselt. Die Täter von Köln waren die Kinder derer, die logen, von Auschwitz nichts gewusst zu haben. „Unsere Kinder wissen nicht, was vor zehn Jahren geschehen ist“, schrieb Böll bereits 1954. In Schulen lernte man Waterloo und Austerlitz, nicht Auschwitz. Es war ein Schweigen, das Täter schützte und Antisemiten ermutigte.
Heiligabend 2024: Die Tarnschicht der Zivilisation
Beton, Glas und Sicherheitskameras schützen heute, was einst Orte der Begegnung sein sollten. Doch wer glaubt, dies sei ein Fortschritt, übersieht die Wahrheit: Antisemitismus hat seine Formen geändert, nicht seine Absicht. Die Hakenkreuze von 1959 wurden ersetzt durch subtilere Codes, getragen von der neuen Rechten, von der AfD bis hin zu jenen, die hinter scheinbar linken Parolen alte Ressentiments verbergen. Die AfD? Eine Partei, die die politische Bühne mit antisemitischen Ressentiments verseucht, ein Sammelbecken für die Erben der „Deutschen Reichspartei“.
Und die Empörung? Oft nichts als Kulisse. 2024 marschierten wieder Menschen in Deutschland, doch die Proteste galten dem Nahen Osten, nicht den Juden, die hier leben. Jüdische Kinder sitzen in Synagogen, hinter Glasfronten, die einst für Offenheit standen, und schauen auf verschlossene Türen. Die Politik? Symbolpolitik, wie 1959, als Adenauer die Taten verurteilte, während er behauptete, die Täter seien „Flegel“. Und heute? Resolutionen im Bundestag, Berichte und Versprechen. Worte, hinter denen sich eine Gesellschaft versteckt, die nie den Willen hatte, ihren Antisemitismus wirklich zu bekämpfen.
Die Vergangenheit, die nicht vergangen ist
Das Problem liegt nicht in den Hakenkreuzen allein, sondern in einer Gesellschaft, die sich nie vollständig vom Judenhass gelöst hat, weil sie es nie wirklich wollte. RIAS hat es auf den Punkt gebracht: Antisemitismus ist kein Randphänomen. Es ist ein „anschlussfähiges Phänomen“, das sich durch alle Schichten zieht. Die Zahlen der Studie sind alarmierend: Über 13.000 Vorfälle zwischen 2019 und 2023, mit einer Dunkelziffer, die uns sagen müsste: Es ist alles schlimmer, als wir es sehen wollen.
Heinrich Böll wusste das, als er schrieb: „Die Vergangenheit, die nicht vergangen ist.“ Heinz Galinski wusste das, als er die Gleichgültigkeit der Deutschen prangerte, während Synagogen wieder beschmiert wurden. Und heute wissen es diejenigen, die hinter Glas und Beton sitzen, während antisemitische Vorfälle wie in Halle, Frankfurt oder Dresden in regelmäßigen Abständen zeigen: Die Zeichen an der Wand sind subtiler geworden. Doch sie sind da.
Kulakova, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Dresden, spricht es aus: „Manchmal bedauere ich, dass ich zurückkam.“ Eine Synagoge, einst gastfreundlich, hat ihre Türen geschlossen. Nicht nur, weil muslimischer Antisemitismus zunimmt, sondern weil der rechte, deutsche Hass nach wie vor allgegenwärtig ist. Es sind keine Flegel. Es sind die Deutschen, die wieder „Stille Nacht“ singen, während jüdische Nachbarn sich fragen, ob sie sicher zur Bäckerei gehen können.
Resümee: Eine Republik hinter Glas
Die Betonung der Schutzmaßnahmen ist das Eingeständnis des Staates, dass er versagt hat. Beton schützt, was nicht geschützt werden sollte: Eine Gesellschaft, die sich der Vergangenheit verweigert. Das „Nie wieder“ ist längst ein „Schon wieder“ geworden, und wer glaubt, dass Synagogen heute sicherer sind, übersieht, dass sie Festungen sind. Eine Festung gegen die eigenen Bürger.
Antisemitismus war nie weg. Er war 1959 sichtbar, 2024 ist er es wieder. Die Frage ist nicht, ob wir die Zeichen an der Wand erkennen. Die Frage ist, ob wir je bereit sein werden, sie zu entfernen. Und die Antwort? Sie klebt auf den Schildern vor der Synagoge: „Geschlossen.“
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