Wagenknechts Medizin aus Moskau
- kpeterl
- 5. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
TL;DR: Wagenknechts Antwort auf Trumps Wirtschaftskrieg: Pipeline statt Politik, Moskau statt Marx. Wer billigem Gas nachtrauert, verliert den Begriff von Kritik – und landet mit „unserer Industrie“ in der Sackgasse des Nationalliberalismus.

Wenn Sahra Wagenknecht zum Federkiel greift, tropft kein Tintenfass, sondern ein Tank russischen Pipelinegases über das Papier. Die Frau, die einst antrat, Marx zu retten, rettet heute lieber Nord Stream. Wo früher das Kapital als Struktur zu analysieren war, ist heute die „taumelnde Wirtschaft“—vermutlich der letzte Rest von "unserer Industrie"—mit billiger Energie zu beatmen. Das Elend der Kritik hat sich in den Gaspreis eingepreist.
Wagenknechts Antwort auf Trumps Wirtschaftskrieg ist keine Kritik der politischen Ökonomie, sondern ein Rückfall in wirtschaftsnationalistische Kurmedizin. „Preiswerte Energie“ sei „die beste Medizin“, schreibt sie, als wäre sie nicht Volkswirtin, sondern Vertreterin der deutschen Pharmaindustrie. Ob das Gas aus Tscheljabinsk oder Texas kommt, interessiert sie nur unter dem Gesichtspunkt der Kilowattstunde. Moralische Skrupel? Geopolitische Erwägungen? Keine Zeit – die Industrie wankt!
Dabei könnte man fast glauben, dass Europa nicht von der neoliberalen Erblast, sondern einzig vom Frackinggas aus Übersee erdrückt wird. Dass der Kapitalismus keine Nationalhymne kennt, sondern Rendite, dass er sich mit Zöllen ebenso wohlfühlt wie mit Freihandelsabkommen, bleibt in Wagenknechts Weltbild außen vor. Für sie scheint der Hauptwiderspruch nicht der zwischen Kapital und Arbeit, sondern der zwischen Pipeline und LNG-Tanker zu sein.
Aber damit nicht genug. Wenn die Energiefrage geklärt ist – mit Gazproms Hilfe, versteht sich – dann will Frau Wagenknecht Europa auch noch aus den Fängen der US-Digitalhegemonie befreien. Nicht etwa durch ein radikaldemokratisches Netz oder Datenethik, sondern durch mehr „digitale Souveränität“. Das klingt wie Marx im Mausgrau der Mittelstandsverbände. Dass ausgerechnet China als Vorbild dient, hätte selbst den alten Lenin irritiert. Aber im Wagenknechtschen Kosmos gilt: Wenn’s gegen Amerika ist, ist’s per se emanzipatorisch.
Der ideologische Schwenk der Ex-Linken ist damit vollzogen: vom Klassenstandpunkt zum „unser-Land“-Sermon. Die „digitale Kolonie“ will sie abschütteln, nicht um der Befreiung willen, sondern um im neuen Nationaltechnologismus mitreden zu dürfen. Die ehemaligen Weggefährt*innen der Linkspartei blicken fassungslos – wie einst die Kommunarden auf Blanqui – auf das Resultat: eine Restlinke, die für Putin-Gas und gegen Silicon Valley kämpft, mit dem Pathos des kleinbürgerlichen Eigenheimträumers.
Dass Wagenknecht keine Faschistin ist, sei betont – sie ist bloß die Galionsfigur eines autoritären Antikapitalismus, der den Kapitalismus zwar verachtet, aber seine nationalstaatlichen Ausprägungen zu retten sucht. Die Rechten klatschen, die Konservativen nicken zustimmend, und auf der Strecke bleibt der Gedanke der universellen Emanzipation – ersetzt durch die Sehnsucht nach nationaler Selbstversorgung und geostrategischer Nabelschau.
Und während Trump die Axt an die Bretton-Woods-Weltordnung legt, applaudiert Sahra vom Ufer und ruft: „Endlich! Jetzt aber Nord Stream frei!“ Ironie der Geschichte: Die, die einst gegen imperiale Großmachtpolitik wetterte, plädiert heute für ihre günstigere Variante.
Am Ende bleibt von Wagenknecht, was in der Talkshow funktioniert: einfache Antworten für komplexe Verhältnisse. Und ein Platz neben Alice Weidel im Studio, wenn wieder mal über „unsere Industrie“ geredet wird.
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