TL;DR: Wagenknecht will den rechten Brand löschen – mit Benzin. Volksabstimmung über Migration? Perfekt, um den Mob zu mobilisieren. Wer die AfD stoppen will, indem er sie kopiert, sorgt nur dafür, dass das Original gewählt wird. Dumm, dreist oder beides?

Sahra Wagenknecht hat eine Idee. Und weil sie eine Idee hat, wird man sich die Hände vorsorglich vor die Stirn schlagen müssen. Es geht um Migration, natürlich. Worum auch sonst, wenn das eigene Projekt BSW schwächelt und die AfD immerzu die besseren Parolen drischt? Also fordert die große Kämpferin gegen den „Kontrollverlust“ eine Volksabstimmung. Der Souverän, also der von ihr auserkorene „anständige Bürger“, soll darüber befinden, ob Deutschland sich künftig besser verbarrikadieren möge.
Dem aufmerksamen Beobachter wird dabei weniger Wagenknechts Vorschlag auffallen – das Rezept ist bekannt, es stammt aus dem tiefen Giftschrank der Rechten –, sondern die groteske Begründung: Man müsse der AfD den Wind aus den Segeln nehmen, indem man ihren Kurs übernimmt. Eine List, so plump, dass man sich fragt, ob sie noch an sich selbst glaubt oder ob die Dreistigkeit bereits so weit fortgeschritten ist, dass Glauben überflüssig wird.
Denn was schlägt die frischgebackene Demokratin vor? Die Mehrheit soll über die Rechte der Minderheit befinden. Ein Verfahren, das schon in der Vergangenheit hervorragende Ergebnisse lieferte, etwa wenn es um Juden, Schwule oder Kommunisten ging. Wer jetzt mit dem Grundgesetz wedelt und auf den Mangel an rechtlichen Grundlagen für Volksentscheide hinweist, hat Wagenknecht unterschätzt: Die Verfassung ist ja bekanntlich kein Gesetzbuch, sondern eine zu überwindende Herausforderung.
Und damit kein Missverständnis aufkommt: Wagenknecht macht keine Gefangenen. Die Zielmarke – höchstens 50.000 Einwanderer pro Jahr – steht längst fest. Eine Volksabstimmung, die das Gegenteil ergibt, ist daher so wahrscheinlich wie die Wiederauferstehung des Sozialstaats in einem Parteiprogramm des BSW. Aber gut, Demokratie ist, wenn abgestimmt wird, und abstimmen ist, wenn für Wagenknecht das Ergebnis stimmt.
Nun könnte man annehmen, dass Wagenknecht sich lediglich ungeschickt ausdrückt. Doch es gibt Indizien für Vorsatz. Im Bundestag enthielten sich ihre Getreuen jüngst bei einem Antrag zur Verschärfung des Asylrechts und verhalfen der Union, der FDP und – charmante Pointe – der AfD zur Mehrheit. Zufall? Nur für jene, die auch noch glauben, dass Bismarck Sozialist war.
Aber Wagenknecht bleibt sich treu. Nach ihrem hitzigen TV-Scharmützel mit Alice Weidel übernahm dann ihr Gatte, Oskar Lafontaine, die diplomatische Feinarbeit. In einer österreichischen Fernsehrunde streute er als freundlicher Brückenbauer den Gedanken ein, dass die CDU doch längst mit der AfD koalieren müsste. Der Applaus aus der rechten Ecke dürfte ihm noch immer in den Ohren klingeln.
Es bleibt die Frage, ob Wagenknecht und ihr BSW tatsächlich glauben, auf diese Weise Wähler zu gewinnen. Es könnte ja sein, dass der Wähler sich dann doch für das bessere, sprich: das echte Original entscheidet. Und das ist leider nicht die Partei der Dame mit der Vorliebe für Karl Lagerfelds Schneiderkunst, sondern die Partei mit den Springerstiefeln im Keller.
Natürlich, man darf über Migration streiten. Man darf über Asyl reden. Man muss sogar. Aber wer Migration als Volkssport mit Abstimmungszetteln inszeniert, der mobilisiert nicht den Dialog, sondern den Mob. Und er tut es mit Vorsatz. Wer das für klug hält, ist entweder naiv oder brandgefährlich. Oder beides.
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