TL;DR: CDU & SPD setzen auf Hungerkur für Arbeitslose und Remigrationsfantasien: Wer nicht spurt, verliert Bürgergeld oder Staatsbürgerschaft. Kein Wort zu Rechtsextremismus, aber Politik, die Radikalisierung fördert. AfD könnte es kaum besser schreiben.

Manche Reformen dienen dem Fortschritt, andere der Sortierung: Die neue Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik von CDU und SPD fällt eindeutig in die zweite Kategorie. Während sich die Einleitung des Sondierungspapiers noch mit den üblichen Floskeln von sozialer Gerechtigkeit und einer „modernen Gesellschaft“ wärmt, wird im weiteren Verlauf klargestellt, was das bedeutet: Wer arm ist, wird in die absolute Mittellosigkeit gedrängt, wer nicht ins Bild passt, verliert das Existenzrecht.
Und falls sich jetzt jemand wundert, warum kein einziges Wort zur Gefahr des Rechtsextremismus in diesem Sondierungspapier steht: Das ist kein Versehen. Wer so regiert, braucht sich vor denen, die ganz offen von „Remigration“ träumen, nicht zu fürchten – die könnten das Papier nämlich mit minimalen Korrekturen glatt übernehmen.
Armut als Disziplinarmaßnahme
"Das Bürgergeld wird zur Grundsicherung für Arbeitssuchende umgestaltet", verspricht Friedrich Merz mit der Wärme eines Investmentbankers, der sich fragt, warum man Menschen, die nichts besitzen, nicht einfach Aktien in die Hand drückt.
Die Reform: Wer eine zumutbare Arbeit verweigert, erhält – nichts mehr. Vollständiger Leistungsentzug. Der neoliberale Albtraum, in dem Erwerbslose endlich keine Kosten mehr verursachen, sondern einfach verschwinden.
Dass das Bundesverfassungsgericht bereits 2019 entschieden hat, dass Sanktionen von mehr als 30% gegen Sozialleistungsbeziehende verfassungswidrig sind? Egal. Schließlich hat sich das deutsche Unternehmertum noch nie von Grundrechten aufhalten lassen, wenn es um billige Arbeitskraft ging. Die CDU nennt es "Fördern und Fordern", dabei ist es nichts anderes als Zwangsarbeit unter dem Deckmantel der Motivation. Wer das nicht glaubt, kann ja mal versuchen, mit null Euro im Monat auch nur einen Tag zu überleben.
Dazu das Märchen vom "Vermittlungsvorrang": Die Agenda lautet nicht etwa, Menschen eine sinnvolle Perspektive zu bieten, sondern sie in jeden erdenklichen Job zu prügeln, egal wie prekär, egal wie aussichtslos. Die perfekte Drohkulisse für die übrigen Beschäftigten: Seht her, so ergeht es euch, wenn ihr nicht spurt.
Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Dieselbe SPD, die einst mit moralischer Empörung die Hartz-IV-Reformen bedauerte, arbeitet jetzt an der Abschaffung der Grundsicherung mit. Dieselbe SPD, die vor einem Jahr gegen „Remigration“ auf die Straße ging, präsentiert nun stolz eine Staatsbürgerschaftsreform, die in AfD-Thinktanks mit begeistertem Nicken aufgenommen werden dürfte.
„Remigration“ durch die Hintertür
CDU und SPD haben sich entschieden: Staatsbürgerschaft ist künftig kein Bürgerrecht mehr, sondern eine Bewährungsprobe.
"Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützenden, Antisemitinnen und Extremistinnen, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsangehörigkeit entziehen können, wenn sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen."
Was harmlos klingt, ist in Wahrheit eine Rückkehr zur Idee der „würdigen Staatsbürgerschaft“: Wer sich nicht anpasst, wer unbequem wird, wer in irgendeiner Weise vom vorherrschenden Narrativ abweicht, kann auf Abruf zur unerwünschten Person erklärt werden.
Das Grundgesetz sagt dazu etwas anderes. „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Das Verbot ist eine direkte Konsequenz aus der NS-Zeit, in der Menschen durch Entbürgerung entrechtet wurden.
Natürlich gilt das Vorhaben zunächst nur für Doppelstaatlerinnen. Und natürlich nur für „Antisemitinnen“ und „Extremist*innen“. Doch wer entscheidet, was das bedeutet? Die CDU? Das Innenministerium? Die Gedankenpolizei?
Was für eine Logik: Wenn Friedrich Merz auf einer Pegida-Demo „Juden raus!“ grölen würde – rein hypothetisch, versteht sich –, bliebe er selbstverständlich Deutscher. Wenn hingegen Ferat Koçak, Abgeordneter der Linken, sagt: „Terror wie der am 7. Oktober ist durch nichts zu rechtfertigen, Israels brutaler Angriff mit zehntausenden Toten noch viel weniger“, dann könnte er nach dieser Definition ausgebürgert werden?
Denn genauso wie durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft früher darüber entschieden wurde, wer jüdisch ist, bestimmt sie heute, was Antisemitismus ist. Jüd*innen haben dabei nichts mitzureden. Und noch perverser: Ein eingebürgerter Jude , der Israelischer Doppwlstaatler ist, könnte, weil er die falsche Meinung äußert, als „jüdischer Antisemit“ ausgebürgert werden – ein groteskes Konstrukt, das sich nur eine deutsche Regierung im Wartestand ausdenken kann.
Und was genau soll beim Antisemitismus eine „vermeidbare Handlung“ sein? Reicht ein kontroverser Tweet? Eine Rede auf einer Demonstration? Eine Forderung nach einem Waffenstillstand? Die Definitionsmacht liegt in den Händen derjenigen, die immer neue Grenzen ziehen, je nachdem, wem sie gerade nützen.
Heute trifft es Islamisten, morgen Linke. Heute geht es um „Extremist*innen“, morgen um „staatszersetzende Umtriebe“ oder die „grobe Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten“. Die Tür zur politischen Säuberung ist weit geöffnet.
Kein Wort zu Rechtsextremismus – aber die perfekte Vorlage für ihn
Das Sondierungspapier erwähnt die Gefahr von Rechtsextremismus mit keiner Silbe. Kein Wort über NSU 2.0, nichts über Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, keine Strategie gegen die AfD, die inzwischen in mehreren Bundesländern auf 30% klettert.
Aber für die Entrechtung von Sozialleistungsbeziehenden und die Selektion von Staatsbürger*innen ist Platz. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass CDU und SPD gar kein so großes Problem mit der Radikalisierung von rechts haben – solange sie sich in ihre eigene Politik einspeisen lässt.
Das Perfide daran: In weiten Teilen könnte dieses Papier mit kleinen Korrekturen von der AfD stammen – nur mit freundlicherer Wortwahl. Wer glaubt, eine Politik à la AfD light könnte die Radikalisierung aufhalten, wird sich bald fragen, warum Wähler*innen nicht einfach gleich das Original wählen.
Die Botschaft ist klar: Wer nicht spurt, fliegt raus
Die neue Regierung hat sich ihre Prioritäten zurechtgelegt: Die Armen werden abgestraft, die Unliebsamen potenziell entzogen, der Rest darf arbeiten, bis er umfällt. Was passiert mit denen, die nicht mitspielen? Sie sollen spuren, sonst verlieren sie entweder ihre Existenz oder ihre Staatsbürgerschaft. Das ist das Programm.
SPD und CDU haben sich für den neoliberalen Klassenkampf und die Entrechtung als politische Strategie entschieden. Wer kein Geld hat, wird zum Aussätzigen erklärt. Wer sich nicht anpasst, ist nicht mehr Teil der „Volksgemeinschaft“ – pardon, der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Und wenn das jemand als menschenverachtend kritisiert? Tja, noch sind die Strafen dafür nicht im Gesetzbuch – aber man arbeitet dran.
"Man muss sich das mal vorstellen: Dieselbe Regierung, die sich über sogenannte Clan-Strukturen echauffiert, etabliert hier gerade ein modernes Feudalsystem. Wer nicht spurt, ist raus. Erst aus der Grundsicherung. Dann aus dem Land. Und vielleicht bald aus der Verfassung."
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