Die Mär vom Stolz – oder: Wie man Queerhass in patriotisches Lametta wickelt
- kpeterl
- vor 2 Tagen
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TL;DR: Der „Stolzmonat“ ist kein Patriotismus, sondern kalkulierter Queerhass im Lametta-Kostüm. Wer schweigt, wenn Rechte queere Menschen attackieren, darf sich nicht wundern, wenn morgen niemand mehr übrig ist, der ihn verteidigt.

Seit Jahrzehnten steht der Juni im Zeichen des Widerstands – Pride Month nennt sich das, und gemeint ist nicht Regenbogenkonfetti für Instagram, sondern der aufrechte Gang jener, die sich nicht länger unsichtbar machen lassen wollen. Doch wo Aufklärung blüht, wächst der Unkrautsamen der Reaktion: In den muffigen Hinterzimmern der Vaterlandsverklärten hat man eine Gegenbewegung ins Leben geschrien – geboren aus Abscheu, genährt von Angst, getragen von Menschen, die im bunten Licht der Vielfalt nur den Schatten ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit sehen. Und die Folgen? Alles andere als symbolisch.
Sie marschieren wieder, die Hüter der Heimat, die Bannerträger des gesunden Volksempfindens, diesmal nicht mit Stiefeln, sondern mit Selfie-Sticks bewaffnet, und sie rufen nicht mehr „Ausländer raus“, sondern „Pride raus“. Die Sprache hat sich geändert, die Gesinnung nicht. Der neueste Geniestreich aus der ideologischen Klapsmühle des deutschen Rechtspopulismus hört auf den Namen „Stolzmonat“ – ein Paradebeispiel dafür, wie man Verachtung in ein Kalenderblatt presst.
Denn der „Stolzmonat“ ist nichts anderes als ein politischer Kuckuck: Er legt sein Ei in das Nest des Pride Month, um es auszubrüten, zu infiltrieren, zu vergiften. Und während queere Menschen im Juni auf der Straße stehen, um gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt zu demonstrieren, stehen ein paar AfDler mit Picknickkorb und Pathos-Gesicht daneben und grölen etwas von Vaterland, Volk und Verdammnis. Das nennt sich dann „patriotisch“ – klingt aber wie 1933 mit WLAN.
Es ist der uralte Reflex der Reaktion: Wer keine Utopie mehr hat, muss wenigstens einen Schuldigen finden. Und weil man Geflüchtete, Jüdinnen, Linke oder Feministinnen inzwischen nicht mehr ganz so ungestraft zum Abschuss freigeben kann, hat man sich eben der LGBTQ+-Community zugewandt. Die ist bunt, unbequem und vor allem: angreifbar. Ihre bloße Existenz widerlegt das Märchen von der natürlichen Ordnung – und das reicht im rechtsextremen Weltbild bereits als Kriegserklärung.
In der PR-Fabrik der Neuen Rechten wird daraus ein Kulturkampf gemacht – gegen die „Gender-Ideologie“, gegen „Frühsexualisierung“, gegen alles, was nicht in den Maßanzug der heteronormativen Zwangsbeglückung passt. Und plötzlich mutiert die Liebe zweier Männer oder das Coming-Out einer Jugendlichen zur Gefahr für die nationale Sicherheit. Von da ist es nicht weit zum diffusen „Heimatstolz“, einer Ersatzreligion für jene, die sonst nichts mehr haben außer ihrem Bier und ihren Ressentiments.
Dass dabei die Gewalt zunimmt – geschenkt. Dass queere Jugendliche wieder Angst haben, Hand in Hand durch die Stadt zu gehen – irrelevant. Der „Stolzmonat“ interessiert sich nicht für Menschen, sondern für Symbole. Und so wird aus einer Regenbogenflagge ein Feindbild, aus einem CSD eine Bedrohung und aus einem queerfeindlichen Übergriff ein Betriebsunfall in der Mission zur „Rettung der Familie“. Die Konsequenzen? 1.785 queerfeindliche Straftaten im Jahr 2023. Tendenz steigend.
In Kleinstädten wie Bautzen stehen 1.000 Menschen auf dem CSD – und 700 Neonazis auf der anderen Straßenseite. Das nennt sich dann „Diskurs“. Und währenddessen dreht Elon Musk auf Twitter die Moderation queerfeindlicher Inhalte herunter, damit der Hass auch endlich Breitband bekommt. Denn Hetze war nie ein monologisches Geschäft – sie lebt von Reaktion, Verbreitung, algorithmischem Nachglühen. Im Digitalen wie im Realen gilt: Wer nichts sagt, sagt auch etwas – nämlich: Wir lassen das durchgehen.
Es ist bezeichnend, dass der „Stolzmonat“ in Stolzenfels beginnt – einer Burg, die aussieht wie ein Märchenschloss aus dem 19. Jahrhundert. Passt. Denn auch das Weltbild der Rechten ist ein Märchen: von der reinen Familie, dem gesunden Volk, der großen Bedrohung durch die „Anderen“. Nur dass diese Mär heute nicht mehr von Grimms Brüdern erzählt wird, sondern von Gauland, Höcke und der TikTok-Abteilung der Jungen Alternativen.
Dabei ist „Stolz“ hier kein Gefühl, sondern ein Gift. Es macht blind für die Realität und immun gegen Mitgefühl. Es ersetzt Analyse durch Pathos, Empathie durch Pose. Und so wird der Juni – jener Monat, der einst für Sichtbarkeit und Widerstand stand – von rechts zur Bühne für die Theaterinszenierung eines Phantomschmerzes gemacht: der Angst, dass die Welt nicht mehr so sein darf, wie sie nie gewesen ist.
Aber die Welt dreht sich weiter. Und sie wird nicht auf die warten, die glauben, das Abendland sei eine Festung, in der man sich am besten in der eigenen Identität einmauert. Es wird Zeit, diesem Irrsinn entgegenzutreten – nicht nur mit Regenbogenfahnen, sondern mit politischer Klarheit. Denn wer heute schwieg, als die queere Community diffamiert wurde, wird sich morgen wundern, wenn auch die eigene Stimme im nationalen Getöse untergeht.
Denn Demokratie ist kein Biotop. Sie stirbt nicht in einem großen Knall, sondern in kleinen Gesten – einem Aufkleber, der abgerissen wird. Einem Pride Month, der umgedeutet wird. Einer CSD-Demo, die abgesagt wird, weil 700 Rechte den öffentlichen Raum für sich beanspruchen. Der „Stolzmonat“ ist kein Kalenderscherz. Er ist ein Warnsignal. Und wir täten gut daran, es nicht zu überhören.
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