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Gedenken an den Farhud – Im Schatten des 7. Oktober: 84 Jahre nach der vergessenen Tragödie

  • kpeterl
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit

TL;DR: 84 Jahre nach dem Farhud gedenken wir der jüdischen Opfer von Gewalt und Vertreibung – im Schatten des 7. Oktober 2023. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie warnt. Erinnerung ist unsere Verantwortung.


Eine Gedenkgrafik zum Farhud , die eher ernst, historisch und würdevoll wirken – mit wenigen Symbolen die auf den Irak und die jüdische Kultur verweisen.
Eine Gedenkgrafik zum Farhud , die eher ernst, historisch und würdevoll wirken – mit wenigen Symbolen die auf den Irak und die jüdische Kultur verweisen.

1. Juni 2025. Am Vorabend von Schawuot gedenken wir eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft des Nahen Ostens – dem Farhud, dem antisemitischen Pogrom im Irak vor 84 Jahren. Heute, im Jahr 2025, erscheint dieses Gedenken besonders drängend – im Schatten des brutalen Massakers der Hamas am 7. Oktober 2023. Zwei Ereignisse, durch über acht Jahrzehnte getrennt – doch verbunden durch den schmerzhaften Faden des Hasses gegen das jüdische Volk.

 

Am 1. und 2. Juni 1941, mitten in Bagdad, wurde eine der ältesten jüdischen Gemeinschaften der Welt Ziel eines beispiellosen Ausbruchs von Gewalt. Jüdische Familien, die gerade Schawuot vorbereiteten, wurden Opfer eines Pogroms, das tiefe Narben hinterließ: mindestens 180 Tote, Hunderte Verletzte, zahlreiche vergewaltigte Frauen, geplünderte Häuser und Geschäfte – eine Spirale der Gewalt, die für viele das Ende von Jahrhunderten jüdischen Lebens in Babylonien bedeutete. Manche Historiker schätzen, dass die Opferzahl deutlich höher war.

 

Diese Gewalt war kein zufälliger Ausbruch. Sie war politisch genährt und ideologisch motiviert. Der Farhud – arabisch für „plötzliche Enteignung“ – wurde im Kontext des Zweiten Weltkriegs entfesselt, unterstützt von nationalsozialistisch beeinflussten Kräften und durch die Hetze des damaligen palästinensischen Führers, des Großmuftis von Jerusalem, Haj Amin al-Husseini, geschürt. Er sah im Hitler-Regime einen Verbündeten und verbreitete seine antisemitische Ideologie unter der arabischen Bevölkerung – mit verheerenden Konsequenzen.

 

Die britische Armee, stationiert am Stadtrand von Bagdad, zögerte mit dem Eingreifen – ein moralisches Versagen, das bis heute schmerzt. Die jüdische Gemeinde Bagdads, einst ein Drittel der Stadtbevölkerung, musste erkennen, dass ihr Platz im Irak nicht mehr sicher war. Der Farhud wurde zum Wendepunkt: In den folgenden Jahren verließen fast alle der rund 150.000 irakischen Juden das Land – viele in Richtung Israel, andere in die Diaspora. Sie mussten alles zurücklassen: Heimat, Besitz, Bürgerrechte. Ihre Ausreise erfolgte unter Zwang und in Armut.

 

Der Farhud war mehr als nur ein lokales Pogrom. Er war ein frühes Beispiel einer systematischen Vertreibung von Juden aus einem arabischen Land – getragen von antisemitischer Hetze, politischer Instabilität und einer Ideologie, die das Existenzrecht von Juden verneinte. Es war der Auftakt zur Vertreibung von über 850.000 Juden aus arabischen Ländern – ein Exodus, der bis heute kaum Platz in der kollektiven Erinnerung findet.

 

In der heutigen Zeit, nach dem grausamen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem über 1.200 Menschen – überwiegend Zivilisten – ermordet und Hunderte verschleppt wurden, wird der Farhud zu einem noch schmerzhafteren Echo der Geschichte. Der jüdische Schmerz über Gewalt und Entwurzelung wird erneut wachgerufen. Die Vergangenheit ist nicht vergangen – sie lebt in Erinnerungen, in Traumata, in der Verantwortung, nicht zu vergessen.

 

Es ist verständlich, dass die Shoah als beispielloses Menschheitsverbrechen den Raum der Erinnerung dominiert. Doch auch der Farhud und der Exodus der Mizrachim – der Juden aus arabischen Ländern – verdienen Anerkennung und Sichtbarkeit. Das Erinnern an diese Geschichten ist kein Wettbewerb des Leids, sondern ein Akt der Würde, der Gerechtigkeit und des Respekts gegenüber jenen, deren Stimmen zu lange überhört wurden.

 

Heute leben kaum noch Juden im Irak. Im Oktober 2006 verglich Bagdads letzter Rabbiner, Rabbi Emad Levy – damals eines der etwa zwölf Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde – sein Leben mit einem „Gefängnisdasein“. Die meisten irakischen Juden würden ihre Häuser nicht verlassen, „aus Angst vor Entführungen oder Attentaten“ im Kontext religiös motivierter Gewalt.

 

Nach Schätzungen aus dem Jahr 2008 lebten nur noch sieben oder acht jüdische Personen in Bagdad. Die jahrtausendealte Gemeinschaft ist ausgelöscht. Doch ihre Geschichte lebt weiter – in Israel, in den USA, in Europa, in Erinnerungen und Familienfotos, in Erzählungen und Gebeten. Sie lebt auch weiter in der Mahnung, dass jüdisches Leben immer wieder Angriffen ausgesetzt war – sei es im Irak 1941 oder im Süden Israels 2023.

 

Der Farhud erinnert uns daran, wohin Hass führen kann – wenn er unbeachtet bleibt, verleugnet oder verharmlost wird. Die Erinnerung daran ist eine Verpflichtung: für Empathie, für Geschichtsbewusstsein, für die Verteidigung von Freiheit und Menschenwürde.

 

Möge das Gedenken an den Farhud – wie auch an die Opfer des 7. Oktober – nicht in Vergessenheit geraten.


Möge es uns lehren, wachsam zu bleiben.Für eine Zukunft, in der jüdisches Leben – und jedes menschliche Leben – sicher, frei und geachtet existieren kann.

 
 
 

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