Über die autoritäre Linke in Deutschland
- kpeterl
- vor 2 Tagen
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TL;DR: Wo Disziplin mehr zählt als Emanzipation und Lenin, Stalin, Mao oder Trotzki neben dem Antifa-Banner wehen, marschiert kein Fortschritt, sondern ein autoritäres Zerrbild.

Wo der Ruf nach Disziplin lauter erschallt als der nach Emanzipation, und das Porträt der Genossen Lenin, Stalin, Mao oder Trotzki neben dem Antifa-Banner flattert, marschiert nicht die Befreiung – sondern ihr autoritäres Zerrbild. Wer da noch glaubt, das sei bloß der spleenige Spleen einiger versponnener „Linker“, steht bald frustriert am Rand und hört, wie es klingt, wenn der „richtige“ Kommunismus auf linken Demos das Reden übernimmt – und das Marschieren gleich mit.
Die autoritäre Linke ist zurück, oder besser gesagt: Sie war nie wirklich weg, sondern lediglich überdeckt von den Rauchschwaden der Szene-Partys und der Floskelpolitik des Prekariats. Jetzt tritt sie wieder hervor aus ihren Zirkeln, bewaffnet mit Zitaten von Lenin, dem letzten großen Stenographen des dialektischen Dogmas, und ruft inbrünstig nach Disziplin, Organisation – und einem neuen „Zentralismus“.
Ein Gespenst geht um – nicht das der Revolution, sondern der Parteidisziplin.
Dass dabei das Banner der Befreiung immer noch trotzig geschwenkt wird, während aus dem Nebel das Porträt des Genossen Stalin grinst, ist nur die groteskeste Pointe einer längst aus dem Ruder gelaufenen Tragikomödie.
Sie nennen sich revolutionär – und meinen damit zuerst sich selbst. Dann die Partei. Dann die Ordnung der Partei. Und irgendwann, weit hinten, vielleicht auch einmal: die Menschen. Aber bitte sortiert nach Disziplin, Bekenntnisgrad und Zitationssicherheit. Die autoritäre Linke versteht unter Befreiung eine Art moralisch überhöhter Panzermarsch, in dem jede Abweichung von der Linie als „kleinbürgerlicher Hedonismus“ diffamiert wird – und jedes Zögern im Kaderaufbau bereits den Klassenverrat markiert. Dass sich dabei antisexistische oder antirassistische Alltagskämpfe auf wundersame Weise zu revolutionären Vorfeldorganisationen umwidmen lassen – geschenkt. Es zählt nicht die Praxis, sondern das Parteisiegel.
Antiautoritär? Nur wenn es zum Zweck passt.
Die Antiautoritären – ach, sie schlingern, taumeln, suchen, verlieren sich gern im Zwischenmenschlichen. Ihre Konzepte wirken mitunter wie aus dem Poetry-Slam der Sozialphilosophie: schön, weich, leider folgenlos. Und doch ist ihr Dilemma das der realen Reflexion: Sie wissen zu viel über ihre eigene Verstrickung, um sich dem stählernen Kadergehorsam zu unterwerfen. Ihre Revolution beginnt mit der Frage nach der Sitzordnung – nicht mit der Ausgabe von Losungen. Und das ist ihr größter Makel – und ihre größte Stärke.
Die autoritäre Linke hingegen hat keine Fragen, nur Antworten. Sie glaubt nicht an Zweifel, sondern an Disziplin als Tugend – und die Partei als das Transzendenzsubjekt des Weltgeistes. Dass sich Geschichte ausgerechnet im monolithischen Charakter ihrer Organisation verwirklichen soll, mag anachronistisch wirken – ist aber durchaus anschlussfähig. Wo die Welt in Stücke fällt, ist der Ruf nach Ordnung verlockend. Und wer schon den Parteitag mit der Eucharistie verwechselt, für den ist die Linie Gottes Wille. Wer widerspricht, fliegt – oder wird umerzogen. Der Gulag beginnt im Plenum.
Lenin (wahlweise Stalin, Mao oder Trotzki) lebt – in den Fußnoten.
Lenin als Referenz ist das letzte ideologische Sparbuch der autoritären Linken – ohne Zinsen, aber mit historischer Aura. Seine imperialismustheoretische Resteverwertung erlaubt bis heute, mit revolutionärem Gestus jede Querfront zu legitimieren: Solange sie gegen den Westen wettert, ist sie ein „objektives Subjekt des Fortschritts“. Assad, Hamas, Putin – alles nur Differenzierungen des Antiimperialismus. Wer dagegen auf emanzipatorische Standards pocht, ist ein bürgerlicher „Kulturlinker“ – oder gleich CIA-Agent.
Der autoritäre Linke argumentiert nicht, er referiert Geschichte – seine. Die Oktoberrevolution als letztes ungebrochenes Erweckungserlebnis einer Welt, die längst ihre Partei verloren hat. Dass diese Revolution im Bürgerkrieg endete, der Bürgerkrieg in der Diktatur – und die Diktatur im stalinistischen Terror – bleibt Marginalie, Geschichtsklitterung der Bourgeoisie. Was zählt, ist der Sieg. Dass er auf Leichen gebaut war, macht ihn nur umso glaubwürdiger.
Der autoritäre Backlash unserer Tage ist kein rechter Exzess, sondern gesamtgesellschaftlicher Ausdruck eines autoritären Reflexes. In der Angst vor der Auflösung sucht man Halt – und findet ihn in Stärke, Ordnung, Führung. Die einen bei der AfD, die anderen bei „Bündnissen“ von S. Wagenknecht bis KP Nordkorea. Beide eint der Hass auf das postmoderne Gewirr, das sie für die Wurzel allen Elends halten. Wer sich nach dem Leviathan sehnt, ist nicht wählerisch. Auch rote Stiefel können stampfen.
Der deutsche Sonderweg: Verdrängen mit System.
Dass diese Form autoritärer Linker in Deutschland so lange als Skurrilität galt, liegt weniger an deren Marginalität als an der organisieren Ignoranz der antiautoritären Linken. Nach dem Untergang der DDR war alles, was nach Lenin roch, kontaminiert. Aber statt Analyse betrieb man Distinktionsgewinn: Man war anders, bunter, freier – und ignorierte geflissentlich, dass andernorts ganze kommunistische Parteien an der Regierung saßen. Heute kehrt das Verdrängte zurück – nicht als Gespenst, sondern als Organisation.
Es reicht nicht, den Stalinisten das „Links“ abzuerkennen – man muss ihnen die Bühne nehmen. Nicht durch Verbote, sondern durch Praxis: durch konkrete Kämpfe, die mehr wollen als Selbstvergewisserung. Wer sich in Kollektiven organisiert, ohne dabei das Subjekt an der Garderobe abzugeben, wer Reform nicht als Verrat, sondern als Möglichkeit zur Revolution begreift – der braucht keine Partei, die ihm sagt, was er zu denken hat. Der braucht keine Führung, keine Doktrin, keinen Vater Lenin. Sondern Mut zur Unsicherheit – und Lust auf Befreiung.
Denn wo der Ruf nach Disziplin lauter wird als der nach Emanzipation, wo der Genosse Stalin die Antifa grüßt – da beginnt nicht die Revolution. Da beginnt ihr autoritäres Zerrbild. Und wer da glaubt, das sei nur Folklore, wird bald erfahren, wie ernst es diesen Clowns mit der Macht ist.
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